GIGA Insights | 23.06.2025
Der Konflikt zwischen Israel und Iran hat mit dem jüngsten Krieg eine neue Qualität erreicht und die USA haben mit der Bombardierung von Nuklearanlagen aktiv ins Kriegsgeschehen eingegriffen. Zur aktuellen Lage in der Region und zum iranischen Atomprogramm finden Sie hier einen Überblick, Hintergründe und Einschätzungen der Nahostexpert:innen des GIGA.
24. Juni 2025
Der gegenseitige Beschuss von Zielen in Israel und Iran, der mit Israels völkerrechtswidrigen Angriffskrieg am 13. Juni 2025 begann, markiert eine weitere Ausweitung des Konflikts zwischen den beiden Ländern, nach den ebenfalls völkerrechtswidrigen Luftangriffen Irans auf Israel im Jahr 2024. Trotz des heute durch die USA verkündeten Waffenstillstands bleibt die Lage weiterhin angespannt und volatil. Vieles wird davon abhängen, ob sich beide Seiten an den Waffenstillstand halten, wie sich die Lage im Iran entwickelt und wie es um die Zukunft des iranischen Regimes steht. Ein Regimewechsel durch z.B. einen Militärputsch durch die Revolutionsgarden, ein Staatszerfall oder ein Bürgerkrieg gehören zu möglichen Szenarien, die diskutiert werden. Europäische Staaten erscheinen bisher nur als Zaungäste bei ihrem Versuch, diplomatische Lösungen zu sondieren.
GIGA-Wissenschaftler:innen Prof. Dr. Eckart Woertz, Diba Mirzaei und Dr. André Bank beobachten die aktuellen Entwicklungen und beleuchten die Hintergründe:
Wie würden Sie die derzeitige Situation zwischen Israel und Iran beschreiben? Und welche Folgen hat das Eingreifen der USA?
Das iranische Regime hat nur schlechte Optionen. Das Eintreten in Verhandlungen über eine Beschneidung seines Atomprogrammes würde von Verbündeten und Gegnern als Schwäche und Kapitulation gewertet werden. Eine Eskalation in Form von Attacken auf US-Stützpunkte in der Region oder Ölförderstätten arabischer Golfländer wie Saudi-Arabien wurde bis zu dem jüngsten Waffenstillstand befürchtet, ist aber nicht eingetreten. Dies hätte noch stärkere Angriffe auf den Iran nach sich ziehen und die Stabilität des Regimes gefährden können. Dessen „Achse-des-Widerstands“-Strategie mithilfe von Stellvertretern in der Region Einfluss zu nehmen, liegt nach den israelischen militärischen Erfolgen gegenüber der libanesischen Hizbollah und dem Sturz des syrischen Assad-Regimes in Scherben. Ein Regimesturz ist unter Kriegsbedingungen und nur mit Luftschlägen unwahrscheinlich. Möglich ist auch ein internes Zusammenrücken, ein sogenannter „Rally-arround-the-flag“-Effekt. Dieser wird aber nur kurzfristig halten. Die Kluft sowie das Misstrauen zwischen der Bevölkerung und dem Regime sind zu groß, als dass das iranische Volk das eigene Regime langfristig als legitimen Sachwalter sehen könnte. Mittelfristig nach einem Ende von Kampfhandlungen und einem fortgesetzten aggressiven Vorgehen des Regimes gegen vermeintliche Dissidenten sowie fortgesetzten wirtschaftlichen und politischen Problemen, dürfte das Regime sich kritischen Fragen ausgesetzt sehen und es könnte neue Protestdynamiken geben.
Welche historischen und politischen Faktoren haben zum Nuklearkonflikt mit dem Iran geführt?
Nach guten Beziehungen zur Zeit des Schahs hat Iran seit der islamischen Revolution 1979 einen antagonistischen Kurs gegenüber Israel gefahren und demgegenüber feindselige Gruppierungen wie die Hizbollah im Libanon unterstützt. In den 2000er Jahren gab es auch auf Seiten der USA und Europas zunehmende Befürchtungen, dass Iran eine Nuklearwaffe anstreben könnte. Dies führte zunächst zu internationalen Sanktionen und Verhandlungen, die 2015 mit dem erfolgreichen Abschluss eines Nuklearabkommens endeten, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Dieses Abkommen wurde von der ersten Trump-Administration 2018 einseitig aufgekündigt und Iran begann in den Folgejahren damit, seine Urananreicherung dramatisch hochzufahren.
Welche Auswirkungen hat der aktuelle Konflikt zwischen Israel und Iran auf die Stabilität und Sicherheit in der gesamten Region?
Wenn Iran auf die jüngsten Eskalationen Israels und der USA seinerseits mit Eskalation reagiert hätte und beispielsweise US-Stützpunkte und Ölanlagen im Golf attackiert hätte oder versucht hätte, die Straße von Hormuz zu sperren, durch die rund ein Viertel des globalen Seehandels mit Öl fließt, hätte dies zu weiteren Verwerfungen in der Region und an globalen Märkten geführt. Allerdings exportiert auch Iran sein Öl über Hormuz und bezieht lebenswichtige Importgüter wie Nahrungsmittel über diesen Seeweg. Das Regime hätte also auch sich selbst geschadet. Solche Extremszenarien sind durch den jüngsten Waffenstillstand zunächst abgewendet, die Situation bleibt aber volatil.
Welchen Einfluss haben andere Länder und Akteure in der Region auf den Konflikt? Kann ein Flächenbrand verhindert werden?
Den regionalen Flächenbrand gibt es im Nahen Osten bereits. Denn der aktuelle israelisch-iranische Krieg findet vor dem Hintergrund des fortwährenden Gaza-Kriegs und der massiven Gewalt im Westjordanland statt. Der Zeitpunkt von Israels Überraschungsangriff gegen Iran am 13. Juni kann auch als Ablenkungsmanöver angesichts der katastrophalen, humanitären Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und der seit dem Frühjahr 2025 leicht gewachsenen, internationalen Kritik an der Netanjahu-Regierung verstanden werden.
Jenseits dieser israelisch-palästinensischen Dimension gab und gibt es massiven Beschuss zwischen Israel und den jemenitischen Huthi-Rebellen. Auch gegenüber dem Libanon hat Israel seine Bombardierungen fortgesetzt. Schließlich hält Israel in Syrien seine völkerrechtswidrige Besatzung der UN-Pufferzone östlich der Golanhöhen sowie des Bergs Hermon aufrecht, die es im Zuge des Sturzes von Diktator Bashar al-Assad am 8. Dezember 2024 eingenommen hat. Syriens südlicher Nachbar Jordanien hat im jüngsten Krieg mit seinem von den USA entwickelten Abwehrsystem iranische Drohnen und Raketen abgeschossen; dabei ist es aber glücklicherweise nur zu wenigen Verletzten gekommen.
Insgesamt ist der Einfluss der arabischen Länder auf die aktuelle Regionaldynamik angesichts der fast totalen militärischen Dominanz Israels und der weitgehend unkritischen Unterstützung Tel Avivs durch die USA und die EU deutlich eingeschränkt.
Welche realistischen Ansätze sehen Sie, um den Konflikt zwischen Israel und Iran zu lösen?
Viel hängt von den USA ab. Im Kern geht am Ansatz des JCPOA kein Weg vorbei. Iran müsste glaubhafte Beschränkungen seines Nuklearprogrammes zulassen, um eine militärische Nutzung auszuschließen und bekäme im Gegenzug einen Erlass von Sanktionen. Vieles wird auch davon abhängen, welches Lager im Iran sich durchsetzen wird. Sollte jenes Lager obsiegen, das von vornherein Verhandlungen kritisch gegenüberstand und es als Schwäche Irans gewertet hat, besteht die Gefahr, dass Iran mittelfristig Atomwaffen erwirbt und aus dem Nonproliferationsvertrag (NPT) aussteigt, so wie das Nordkorea 2003 getan hat.
Sehen Sie Auswirkungen auf die Entwicklung des Gaza-Konflikts?
Der Gaza-Krieg ist durch den jüngsten Krieg zwischen Israel und dem Iran aus den Medien verdrängt worden, die humanitäre Lage ist aufgrund der israelischen Hungerkriegsführung aber nach wie vor katastrophal und könnte sich weiter verschlechtern. Netanjahu und insbesondere die Rechtsextremisten in seiner Regierung, wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, haben wie US-Präsident Trump mit seinem „Riviera Plan“ offen zur Vertreibung der Palästinenser:innen und zur ethnischen Säuberung des Gazastreifens aufgerufen. Die Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Außenpolitik wird im Globalen Süden weiterhin massiv leiden, wenn sie sich solchen Plänen nicht entschieden entgegenstellt oder sich mit diesen sogar gemein macht.
Interview: Verena Schweiger