GIGA Focus Nahost

Der Sturz Assads in Syrien ist nicht das Ende von Captagon

Nummer 4 | 2025 | ISSN: 1862-3611


  • A soldier holds pills inside a house-turned-Captagon factory in Al-Dimas, near the Syrian-Lebanese border, on December 23, 2024.

    Ein halbes Jahr nach dem Sturz der Assad-Diktatur bleibt die Lage in Syrien prekär: In einigen Landesteilen dominieren Kriegsgewalt und externe Besatzung, in anderen hat die Übergangsregierung eine Transition eingeleitet. Die absolute Mehrheit der Syrerinnen und Syrer lebt weiterhin unter der Armutsgrenze. Welche Bedeutung kommt in dieser schwierigen Lage der Produktion und dem Schmuggel von Drogen zu?

    • Unter Präsident Bashar al-Assad und seinem Bruder Maher entwickelte sich Syrien nach den Jahren 2018/2019 zum weltweit führenden Produzenten der synthetischen Droge Captagon. In den Jahren bis 2024 stellte der Captagon-Schmuggel, vor allem in die reichen Golfstaaten, die Haupteinnahmequelle des Assad-Regimes dar.

    • Das rapide Ende Assads am 8.12.2024 hat die dominanten Drogennetzwerke in Syrien erschüttert. Die seither in Syrien regierende, islamistische HTS unter Interimspräsident Ahmad al-Shar‘a hat Captagon den Kampf angesagt; Labore und Pillenfunde wurden öffentlichkeitswirksam zerstört. Zugleich gibt es in Syrien wie in den Nachbarländern weiter eine große Nachfrage nach billigen Drogen.

    • Bereits vor dem Sturz Assads in den Jahren 2023/2024 hatten sich Produktion und Schmuggel von Captagon ansatzweise fragmentiert und transnationalisiert: So fand im Zuge von Assads Normalisierungspolitik im Nahen Osten eine partielle Verlagerung der Produktion in den Irak und Libanon statt, auch die Schmuggelrouten vervielfältigten sich. Erste Funde von Captagon-Laboren, unter anderem in Deutschland, legen zudem nahe, dass die Droge in Europa angekommen ist.

    Fazit

    Die europäische Syrienpolitik sollte die Captagon-Problematik stärker berücksichtigen – in Verbindung mit ihren übergreifenden Zielen: Ende der Kriegsgewalt, Wiederaufbau und eine inklusive Transition. Jenseits sicherheitspolitischer Maßnahmen sollte der syrischen Übergangsregierung, wie den nahöstlichen Transit- und Konsumländern, Know-how bei Drogenprävention und Suchthilfe angeboten werden.


    Zentrale Herausforderungen in Syrien im Jahr 2025

    Der Drogenhandel in Syrien befindet sich ein halbes Jahr nach dem Sturz der Diktatur von Präsident Bashar al-Assad angesichts einer angespannten politischen und ökonomischen Lage im Umbruch: Die Hoffnung vieler Syrerinnen und Syrer, dass mit dem Ende des Assad-Regimes auch der seit dem Jahr 2011 andauernde, internationalisierte Bürgerkrieg endet, haben sich nicht bewahrheitet. So gibt es fortwährende Kriegsgewalt und terroristische Attacken im Norden und Osten des Landes. Die Türkei hält weiterhin größere Gebiete im Norden besetzt, Israel hat im Nachgang des Assad-Sturzes seine Besatzung der Golanhöhen auf die UN-Pufferzone mit Syrien sowie den nördlich gelegenen Berg Hermon ausgeweitet. Die USA unterhalten eine militärische Präsenz in den Kurdengebieten und im Grenzgebiet mit Jordanien und Russland verhandelt mit dem neuen Regime über einen Fortbestand seines Luftwaffenstützpunkts Hmeimim nahe der Mittelmeerküste. Lediglich Iran und seine schiitischen Milizen haben das Land gezwungenermaßen verlassen und dramatisch an Einfluss verloren. Nachdem es der Übergangsregierung unter Führung der islamistischen Hai’at Tahrir al-Sham (arabisch: Komitee zur Befreiung Großsyriens, HTS) über mehrere Monate gelungen war, die ehemaligen Regimegebiete in Zentral- und Westsyrien zu beruhigen, ist am 6. März 2025 auch dort die Gewalt eskaliert. Auf einen massiven Angriff von untergetauchten Assad-Unterstützern auf mit der HTS-Übergangsregierung affiliierte Sicherheitskräfte reagierten letztere mit einem brutalen Massaker mit über 1.000 Toten an der vor allem alawitischen Zivilbevölkerung (Drevon 2025).

    Zusätzlich zur fortwährenden, teils eskalierten Gewalt stellt sich die sozioökonomische Lage für die Mehrzahl der Syrerinnen und Syrer als äußert schwierig, teils lebensbedrohlich dar. So leben laut der Vereinten Nationen (VN) weiterhin weit über 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. In allen Landesteilen gibt es eine schlechte Versorgung mit Lebensmitteln; Wasser und Strom sind im Durchschnitt lediglich ein bis zwei Stunden pro Tag verfügbar. Das Land bleibt stark abhängig von externen Entwicklungs- und Wirtschaftshilfen: Bei der Brüsseler Hilfskonferenz vom 17. März 2025 hat die EU zwar 2,5 Mrd. EUR für die Jahre 2025 und 2026 für Syrien versprochen; diese Summe steht jedoch im Kontrast zu den circa 800 Mrd. EUR, die die VN für wirtschaftliche Stabilisierung und Wiederaufbau im Land veranschlagen. Gleichzeitig sind die Hilfszahlungen der US-Entwicklungshilfebehörde USAID, die circa 40 Prozent der gesamten VN-Hilfen für Syrien ausmachten, seit Anfang 2025 weggefallen. Trotz einer moderaten Aufhebung der EU-Sanktionen für bestimmte Sektoren, wie Energie (unter anderem Öl, Gas, Elektrizität) und Transport, bestehen die umfassenderen US-Sanktionen für Syrien, die etwa Bankgeschäfte und Finanztransaktionen betreffen, weithin fort.

    Neben der fortwährenden Gewalt und dem fehlenden, ökonomischen Wiederaufbau stellt der politische Transitionsprozess post-Assad die dritte große Herausforderung für eine nachhaltige Verbesserung im Leben der Syrerinnen und Syrer dar. Seit dem Regimewechsel am 8.12.2024 wird dieser Übergangsprozess eindeutig von der islamistischen HTS, der vormals stärksten Rebellengruppe, kontrolliert. Unter Führung von HTS-Chef Ahmad al-Shar‘a, der seinen nom de guerre Abu Muhammad al-Jolani abgelegt hat und seit Januar 2025 als Interimspräsident fungiert, war die erste Übergangsregierung von Dezember 2024 bis März 2025 im Grunde die gesamtsyrische Version der vorherigen HTS-Regierung im nordwestlichen Idlib. Mit der zweiten Übergangsregierung vom 29. März 2025, deren Mandat für vier bis fünf Jahre gilt, besteht die sunnitisch-islamistische Dominanz in der aktuellen syrischen Politik fort. Unter den 23 Kabinettsmitgliedern befinden sich neben den 19, eng mit Shar‘a verbundenen Ministern jedoch auch eine Christin, ein Alawit, ein Kurde und ein Druse, was einen gewissen, überschaubaren Einbezug religiös-ethnischer Minderheiten suggeriert. Trotz eines Regierungsdiskurses, der die breite Beteiligung fast aller gesellschaftlichen Gruppen und den Aufbau von Institutionen betont, deuten die Personalentscheidungen und vor allem die fast omnipräsente Rolle Shar‘as auf die Etablierung eines präsidentiell-autoritären Regimes hin (Drevon 2025). Kurz- bis mittelfristig dürfte die syrische Übergangsregierung nicht nur wegen ihrer deutlich geringeren staatlichen Kapazitäten, unter anderem im Sicherheitsbereich, klar weniger repressiv und brutal als das Assad-Regime sein. Außenpolitisch vertritt die Interimsregierung eine “keine Feinde”-Haltung; für eine aus dem radikal-islamistischen Spektrum kommende Bewegung ist insbesondere die bis dato ausbleibende, öffentliche Kritik an Israel und dessen Vorgehen in Syrien wie im Gazastreifen, aber auch die fehlende Kritik an der US-Administration unter Trump, hervorzuheben. Sie erklärt sich weithin aus der fast vollständigen Außenabhängigkeit.

    Welche Bedeutung kommt in dieser komplexen, politisch-wirtschaftlichen Lage in Syrien der Produktion, dem Schmuggel und Konsum von illegalen Drogen zu?

    Der Aufstieg von Captagon in Syrien unter Assad

    Syrien hat, wie andere nahöstliche Länder auch, eine Gesellschaft, in der illegale Drogen produziert, konsumiert und gehandelt wurden und werden (Robins 2016). Traditionell kam in Syrien Haschisch aus dem benachbarten Libanon, das in der an Syrien angrenzenden Bekaa-Ebene angebaut und weithin von der schiitisch-islamistischen Hizbollah kontrolliert wird, eine herausgehobene Bedeutung zu. Des Weiteren liegt Syrien als Transitland an der aus Afghanistan kommenden und über Iran, Irak und die Türkei reichenden Opium- und Heroinroute in Richtung Europa.

    Neben diesen organischen Drogen war Syrien auch seit Jahrzehnten ein Produktionsland von synthetischen Drogen, wie dem Amphetaminartigen Captagon. Captagon wirkt stimulierend, es hält den Körper wach und unterdrückt Hunger. In Syrien gab es Captagon in Pillenform spätestens seit den 1980er-Jahren; es wurde etwa von hart arbeitenden Personen konsumiert, etwa im Bausektor oder Transportwesen. Erst während des syrischen Bürgerkriegs, der im Jahr 2011 als Folge der massiven Repression des diktatorischen Regimes von Präsident Bashar al-Assad gegen die zivile Protest- und Aufstandsbewegung entstanden war, wurde Captagon dann im größeren Maße von Kämpfern der verschiedenen Fraktionen als Aufputsch- und Ausdauermittel eingenommen (Rose und Söderholm 2022: 6-7).

    Spätestens für die Jahre 2018/2019, als sich im Krieg die militärische Lage deutlich zugunsten Assads und seiner Verbündeten Iran und Russland entwickelte, lässt sich zeigen, dass die Produktion von Captagon massiv und auf quasi-industrielles Niveau ausgebaut wurde (COAR 2021: 10). Labore wurden in verschiedenen Landesteilen errichtet, vor allem im alawitisch geprägten Westen, in Zentralsyrien sowie im Süden, dort vor allem im an Jordanien angrenzenden Gouvernorat Dar‘a (siehe auch Abbildung 1).

    Diese massive Expansion von Captagon-Laboren bedeutete, dass die Droge nicht mehr primär für den lokalen, innersyrischen Konsum, sondern für den illegalen Schmuggel jenseits von Syrien produziert wurde. Aufbauend auf älteren, klandestinen Netzwerken von sowohl libanesischer Hizbollah als auch syrischen Familien, insbesondere im syrisch-jordanischen Grenzgebiet, konnte so die zentrale Schmuggelroute von Syrien via Jordanien in die reichen Golfstaaten, vor allem nach Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), deutlich ausgeweitet werden. In der Anfangszeit konnten große Mengen an Captagon-Pillen noch versteckt in Lastwägen von Lebensmitteln, etwa Obst und Gemüse, transportiert werden. Die Gewinnmargen für den Captagon-Schmuggel in den Jahren nach 2018/2019 waren dabei immens: Konnte eine Captagon-Pille in Syrien für umgerechnet wenige Cents pro Stück produziert werden, so konnte sie als Partydroge und Aufputschmittel in den Golfstaaten für 10-15 EUR, bisweilen sogar bis zu 20 oder 25 EUR verkauft werden (Rose und Söderholm 2022: 9-25).

    Abgesichert wurden diese Lieferungen durch einflussreiche Akteure im syrischen Sicherheitsapparat, insbesondere dem jüngeren Bruder von Präsident Bashar al-Assad, Maher al-Assad. Dieser befehligte die Präsidentengarde sowie die Vierte Division der syrischen Armee, eine Eliteeinheit. Dies bedeutete, dass große Teile der Einnahmen aus dem Captagon-Schmuggel direkt auf die Konten der Regimeelite geflossen sein müssen. In den Hochzeiten des syrischen Captagon-Schmuggels in die Golfstaaten, also insbesondere für die Jahre 2020 bis 2023, muss davon ausgegangen werden, dass Captagon die Haupteinnahmequelle des Assad-Regimes darstellte. Die Bedeutung von Captagon für die Finanzierung des Assad-Regimes war deshalb nochmals überlebenswichtiger, als dass traditionelle Einnahmequellen, wie der Erdöl-, Erdgas- und Phosphatexport sowie der Verkauf landwirtschaftlicher Produkte, durch die massiven Kriegszerstörungen, die Misswirtschaft und den teilweisen Kontrollverlust für Assad weitgehend versiegt waren. Zudem hatten die langjährigen, wichtigsten Finanziers des Assad-Regimes, Iran und Russland, aufgrund internationaler Sanktionen sowie wegen anderer Gründe – einer Wirtschaftskrise im Fall Irans, dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Fall Russlands – bereits vor dem Jahr 2022 ihre Zahlungen an Damaskus deutlich reduziert.


    Abbildung 1. Territorialkontrolle und Laborstandorte in Syrien (Stand: 1. Dezember 2024)

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    Quelle: Ungefähre Standorte der Drogenlabore laut COAR Global. Karte erstellt von Eduardo Valencia, T4T.

    Nach Assad: Captagon in Syrien und dem Nahen Osten

    Bedeutet der Sturz Assads das Ende von Captagon in Syrien? Mit dem Zusammenbruch des Assad-Regimes und der Machtübernahme der HTS-geführten Rebellenallianz am 8. Dezember 2024 fiel die zentrale Infrastruktur des syrischen Captagon-Handels weithin in sich zusammen. Während prägende Akteure des Drogenhandels, wie der Präsidentenbruder Maher al-Assad, geflohen sind, wurden in den jetzt ehemaligen Regimegebieten Lagerhäuser und Captagon-Labore von industriellem Maßstab entdeckt. Ahmad al-Shar‘a, der HTS-Anführer und seit Januar 2025 Interimspräsident Syriens, adressierte den Captagon-Handel bereits kurz nach seiner Machtübernahme: Die HTS-geführte Übergangsregierung wolle Syrien von der Droge befreien. Es folgten öffentlichkeitswirksame Aktionen, wie die Zerstörung großer Mengen sichergestellter Captagon-Pillen und die Öffnung von Laboren für syrische und internationale Medien (Nair und Eymard 2025). Bereits im Januar 2025 wurde mit dem benachbarten Jordanien eine gemeinsame Sicherheitsstrategie gegen den Drogenschmuggel beschlossen. Kurz darauf initiierte HTS militärische Vorstöße gegen die Schmuggelinfrastruktur in der Grenzregion zum Libanon. Mit ihrem strikten Vorgehen gegen die Captagon-Strukturen sendet die syrische Übergangsregierung auch Signale an die internationale Gemeinschaft, um die Sanktionen zu beenden und den Weg für Investitionen freizumachen (Hokayem et al. 2025; Haid 2025a).

    Doch trotz der weitreichenden Zerschlagung der syrischen Captagon-Produktion sowie relevanter Schmuggelinfrastruktur ist der Captagon-Handel nur wenige Monate nach dem Ende des Assad-Regimes wieder am Florieren. Innerhalb Syriens ist dies auf einen Mangel an Kontrollkapazitäten der syrischen Übergangsregierung zurückzuführen; in einzelnen Landesteilen, wie dem alawitisch geprägten Westen, in dem alte Regimenetzwerke im Untergrund weiter existieren, können die neuen Sicherheitskräfte keine umfassende Dominanz ausüben, ohne dass dies auch zu potenziell massiver Gegengewalt kommt. Anfang März 2025 war es hier, wie oben ausgeführt, zu einer immensen Gewalteskalation gekommen. Jenseits von Syrien konnte bereits in den Jahren 2023 und 2024, also vor dem Ende des Assad-Regimes, eine gewisse Fragmentierung und sukzessive, transnationale Verlagerung der Captagon-Produktion in angrenzende Länder wie Irak, Libanon oder Jordanien beobachtet werden. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass das Assad-Regime seine Beziehungen zu den arabischen Staaten, insbesondere am Golf sowie Jordanien, verbessern und wieder in die Arabische Liga (AL), von der es seit dem Jahr 2011 ausgeschlossen war, aufgenommen werden wollte. Teil der inner-arabischen Annäherungspolitik, die im Mai 2023 in die Wiederaufnahme Syriens in die AL mündete, waren – letztlich symbolische Schritte – in der Bekämpfung von Captagon in Syrien, inklusive der sehr situativen, möglichst öffentlichkeitswirksamen Festnahme von einzelnen, dem Regime unliebsamen Drogenschmugglern (Bank und Herrschner 2024).

    Insgesamt sind Drogennetzwerke typischerweise hochflexibel und in der Lage, ihre Strukturen innerhalb kurzer Zeit auf neue, äußere Bedingungen anzupassen. Die syrische Übergangsregierung unter al-Shar‘a kontrolliert zwar einen Großteil der vormaligen Regimegebiete, jedoch hat sie nicht die militärische Kontrolle über das ganze Land. Im Norden Syriens kontrolliert die von der Türkei gestützte Syrische Nationalarmee (SNA) weiterhin Gebiete. Neben kleineren Laboren betätigen sich SNA-Milizionäre hauptsächlich im Drogenschmuggel in die angrenzende Türkei.

    Bereits in dem von Maher al-Assad koordinierten Captagon-Netzwerk spielten die Gouvernorate Dar‘a und Suwaida eine zentrale Rolle im syrischen Drogenschmuggel. Die im Süden des Landes gelegenen Provinzen grenzen an Jordanien, dem bislang wichtigsten Transitland für den Captagon-Schmuggel in die ressourcenreichen arabischen Golfstaaten. Nach der militärischen Kontrollübernahme im Jahr 2018 von Dar‘a, dem Ausgangsort des oppositionellen Aufstands im Jahr 2011, durch die Assad-Kräfte und Russland, wechselten einige vormalige Rebellengruppen die Seite und wurden in die Strukturen des syrischen Captagon-Netzwerks integriert. Dar‘a entwickelte sich – zusammen mit dem drusisch geprägten, weithin pro-Regime orientierten, südöstlichen Suwaida – zur zentralen Durchgangsstation des Captagon-Schmuggels nach Jordanien. In beiden Provinzen existieren seit langer Zeit grenzübergreifende Schmuggelnetzwerke, die sich ab dem Jahr 2018 auf den Drogenschmuggel spezialisierten und von dem lukrativen Geschäft profitierten. Zu Beginn der militärischen Offensive von HTS gegen die Assad-Kräfte Ende des Jahres 2024 schlossen sich verschiedene dieser lokalen Milizen zum so genannten Southern Operations Room (SOR) zusammen und beteiligten sich an der Offensive gegen die Assad-Kräfte. Während einige der zentralen Akteure im Captagon-Schmuggel geflohen sind, wurden andere, wie ʿImad Abu Zuraiq, der aufgrund seiner Rolle im Captagon-Schmuggel mit US-Sanktionen belegt ist, oder, wie die vormalige achte Brigade von Ahmad al-‘Awda, im April 2025 in die neuen militärischen Strukturen integriert. Andere große Rebellengruppen, wie die drusischen Rijal al-Karama (arabisch für “Männer der Würde”), versuchen weiterhin ihre relative Autonomie gegenüber der neuen syrischen Regierung aufrechtzuerhalten. Was bleibt, sind die umfangreichen lokalen Schmuggelnetzwerke und das lukrative Geschäft mit Captagon. HTS hat weder die militärische Fähigkeit noch – zumindest kurzfristig – ein Interesse daran, mit lokalen, anti-Assad-Rebellengruppen in Konflikt zu geraten und die fragile Ruhe im Süden Syriens zu gefährden. Ein halbes Jahr nach ihrer Machtübernahme in Damaskus bleibt der HTS-Einfluss auf die Captagon-Netzwerke im Süden des Landes eingeschränkt (Hage Ali 2025: 12, 16-17).

    Neben diesen Faktoren, die zu einem Fortbestehen des Captagon-Handels beitragen, beschleunigte der Sturz des Assad-Regimes eine Entwicklung, die sich seit dem Jahr 2023 abgezeichnet hat. Die ansatzweise Deckelung der syrischen Captagon-Produktion, die das Assad-Regime im Zuge der syrischen Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu arabischen Staaten veranlasste, hatte den Nebeneffekt, dass sowohl in Syrien als auch in nahöstlichen Nachbarstaaten, in denen vorher kaum Captagon-Produktion stattfand, neue Akteure in kleinerem Maßstab in die Captagon-Produktion eingestiegen sind, um von dem lukrativen Geschäft zu profitieren und die große Nachfrage nach billigen Drogen zu bedienen. Die ansatzweise Fragmentierung und Transnationalisierung der Captagon-Strukturen haben sich nach dem Ende des Assad-Regimes weiter fortgesetzt. Zwar wurden die industriellen Anlagen beschlagnahmt oder zerstört, zentrale Figuren des Drogenhandels sind geflohen oder wurden verhaftet, doch das Wissen und die Produktionsmittel zur Herstellung von Captagon sind weiterhin vorhanden. Kleinere Captagon-Labore und Lagerhäuser konnten vor dem Eintreffen von HTS-Milizionären geplündert und mit den Materialien neue Produktionsstätten aufgebaut werden. Besonders in den Grenzregionen können lokale Akteure mobile Produktionsstätten problemlos verlegen. Neben Jordanien, Irak und der Türkei ist die Grenzregion zum Libanon besonders relevant. Libanon war vor Syrien das größte Produktionsland für Captagon und die mit Assad verbündete islamistische Hizbollah eine zentrale Akteurin in der Verteilungslogistik (Shaar, Rose und Obaid 2025: 11-12; Haid 2025b).

    Mit dem Zusammenbruch des staatlich organisierten Drogenhandels in Syrien ist ein Vakuum im Captagon-Geschäft entstanden, das aktuell gefüllt zu werden scheint. Die steigende Nachfrage und der kurzfristige Produktionsengpass versprechen immense Gewinnmargen für verschiedene Akteure, die das Geschäft fortführen. Für die syrische Übergangsregierung und angrenzende Produktions-, Transit- und Konsumländer wird die Bekämpfung des Captagon-Handels aufwändiger. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass mit Captagon verwandte synthetische Drogen, wie das Methamphetamin Crystal Meth, die sich in den letzten Jahren in Ländern wie dem Irak ausgebreitet haben, noch populärer werden. Die Herstellung von Captagon ist mit der von Methamphetaminen verwandt, jedoch sind Sucht- und körperliches Krankheitspotenzial von letzteren nochmals deutlich höher.

    Jenseits von Syrien und Nahem Osten: Captagon in Europa?

    Bisher spielte die Droge Captagon keine große Rolle für den europäischen Drogenmarkt. Umso mehr waren europäische Sicherheitsbehörden überrascht, als in den letzten Jahren vermehrt große Mengen der Droge in europäischen Häfen sichergestellt werden konnten. Bis dato schien Captagon jedoch nicht für den europäischen Markt selbst bestimmt zu sein, vielmehr wurde es über europäische Häfen umgeleitet (re-routing), um die eigentliche Herkunft der Schiffsladungen, etwa aus Syrien, zu verschleiern.

    Als das syrische Regime ab den Jahren 2018/2019 damit begonnen hat, die Captagon-Produktion auf ein industrielles Niveau zu steigern, wurden die Schmuggelmethoden an die neuen Dimensionen angepasst. Neben den traditionellen Routen über Land wurden nun großen Mengen der Droge durch das Schmuggelnetzwerk professionell versteckt und über syrische und libanesische Mittelmeerhäfen und den ägyptischen Suezkanal in die wichtigste Konsumregion auf der arabischen Halbinsel verschifft (Rose 2023: 298-299). Das Captagon-Netzwerk aus Schmugglern, Geschäftsleuten und legalen Firmen reagierte auf die gestiegene Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden in den Golfstaaten, indem das versteckte Captagon zunächst in europäische Häfen geschickt wurde. Mit neuen Zolldokumenten versehen oder gänzlich neu verpackt, wurden die Waren dann in die Zielregionen verschifft. Mit den ersten großen Funden in europäischen Häfen, wie in Hamburg im Jahr 2018 und im italienischen Salerno, wo am 1. Juli 2020 eine Rekordmenge von 84 Mio. Pillen sichergestellt wurde, wurde das syrische Captagon erstmals auch als ein europäisches Thema wahrgenommen (Cunningham et al. 2023: 11). Regelmäßige Funde großer Mengen Captagon wurden in europäischen Häfen nach dem Jahr 2022 weniger, sobald es den europäischen Sicherheitsbehörden gelang, verdächtige Schiffsladungen aus den syrischen Mittelmeerhäfen Latakia oder Tartus genauer zu untersuchen. Seither setzte das Schmuggelnetzwerk wieder auf kleinere Überlandlieferungen über die Türkei, Jordanien oder den Irak (Diehl, al-Najjar und Reuter 2022).

    In Folge der Normalisierungsbestrebungen zwischen Syrien und arabischen Staaten ab dem Jahr 2023 und der damit einhergehenden, kurzfristigen Drosselung des Captagon-Handels, fragmentierten sich Drogenproduktion und Verteilungslogistik. Diese Entwicklung, die durch das Ende des Assad-Regimes und seines staatlich orchestrierten Drogenhandels noch weiter verstärkt wurde, könnte ein neues Risiko für Europa darstellen. Länder wie Deutschland, die Niederlande sowie Belgien, und hier die Häfen Hamburg, Rotterdam sowie Antwerpen, sind wichtige Drehscheiben für die Produktion und Verteilung von synthetischen Drogen. Die große Nachfrage nach Captagon in den arabischen Golfstaaten und die immensen Gewinnmargen sind attraktiv für europäische, kriminelle Netzwerke. Sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland konnten regelmäßig kleinere Captagon-Labore aufgespürt werden, beispielsweise bei Regensburg im Juli 2023. Gleichzeitig kam es zu Verhaftungen von kleineren Netzwerken in Deutschland, die geringere Mengen der Drogen per Luftfracht oder Landweg in Richtung der Golfstaaten geschmuggelt hatten. Diese Entwicklung von Europa als Transitregion hin zu einer Produktionsregion im Captagon-Handel birgt ebenfalls die Gefahr, dass sich die Droge hierzulande etablieren könnte. Zwar führt Captagon bisher weiterhin ein Nischendasein auf den hiesigen Drogenmärkten, doch im Dark-Web wird bereits mit den niedrigen Preisen für die Amphetamin-Pillen geworben, sodass Captagon eine Alternative zu anderen höherpreisigen Substanzen werden könnte (Global Initiative Against Transnational Organized Crime 2025: 10-12).

    Politikempfehlungen

    Der Sturz des Assad-Regimes bedeutet nicht das Ende von Captagon in Syrien. Erst wenn die sehr großen Herausforderungen, vor denen das Land nach 14 Jahren Krieg und über 60 Jahren brutaler Diktaturerfahrung, adressiert und ansatzweise gelöst sind, lassen sich Drogenproduktion, -schmuggel und -konsum effektiv angehen. Die deutsche und europäische Syrienpolitik sollte ihre drei übergreifenden Politikziele für das Land – das Ende von Kriegsgewalt und externer Besatzung, der sozioökonomische Wiederaufbau sowie die Gewährleistung einer möglichst inklusiven Transition – gleichzeitig in Bezug auf die Captagon-Problematik betrachten.

    Erst wenn die massive Gewalt, die im Norden und Osten Syriens fortbesteht und die nach Dezember 2024 situativ auch im Westen und Süden eskalierte, grundsätzlicher eingehegt ist, kann sich die Lage vor Ort nachhaltig stabilisieren. Die EU und die Bundesregierung sollten deshalb deutlich mehr Druck auf die Türkei und Israel ausüben, dass diese ihre völkerrechtswidrigen Besatzungen von Teilen Syrien aufgeben. Des Weiteren ist zentral, dass das Sanktionsregime, vor allem hinsichtlich sektoraler Sanktionen, weiter gelockert wird, um mehr Hilfen und existentiell benötigte Investitionen in Syrien leisten zu können. Dies bedeutet nicht nur, dass die EU noch deutlich weiter als mit ihren beiden bisherigen, eher moderaten Paketen zu Sanktionserleichterungen für Syrien gehen sollte. Sie sollte auch versuchen, die Trump-Regierung davon zu überzeugen, dass diese die besonders umfassenden US-Sanktionen gegen Syrien beendet, zumindest deutlich lockert. Nicht zuletzt gilt es für die EU wie die Bundesregierung, auf die syrische Übergangsregierung unter al-Shar‘a hinsichtlich der Gewährleistung eines möglichst inklusiven, die Rechte von Individuen sowie von religiös-konfessionellen und ethnischen Minderheiten schützenden Transitionsprozesses einzuwirken.

    All dies zusammengenommen würde auch der illegalen Captagon-Drogenökonomie in Syrien über Zeit den politisch-wirtschaftlichen Nährboden entziehen. Da diese Entwicklung kurz- bis mittelfristig jedoch eher unrealistisch ist, sollten EU und Bundesregierung die syrische Übergangsregierung in deren öffentlich artikuliertem Anti-Captagon-Kurs weiter unterstützen. Jenseits rein sicherheitspolitischer Maßnahmen, wie der öffentlichkeitswirksamen Zerstörung von Drogenlaboren oder Captagon-Pillenfunden durch die Übergangsregierung, könnten EU und Bundesregierung den neuen Machthabern in Damaskus vorsichtig anbieten, angesichts der hohen Zahl an von Captagon und anderen Drogen Abhängigen im Land ein gewisses Know-how hinsichtlich spezifischer medizinischer Versorgung, von Suchthilfe wie Drogenprävention, anzubieten. Hiervon könnte nicht nur Syrien profitieren, sondern auch die nahöstlichen Transit- und Konsumländer von Captagon, wie Jordanien oder Irak.

    Schließlich sollten in Europa, nicht zuletzt in Deutschland und den Niederlanden, Sicherheitsbehörden, aber auch Regierungen wie zivilgesellschaftliche Gruppen genau beobachten, wie sich die Produktionsbedingungen, Schmuggelrouten und eventuell auch die Konsumgewohnheiten von synthetischen Drogen, wie Captagon, entwickeln. In Syrien, dem Nahen Osten und wohl auch in Europa befindet sich der Captagon-Handel nach dem Sturz des Assad-Regimes in einer Phase des Umbruchs.


    Die Autoren bedanken sich herzlich bei Eduardo Valencia für die Erstellung der Karte.


    Fußnoten



      Literatur

      Bank, André und Ronja Herrschner (2024), Syria is Not Safe: A Look to Its Regions, GIGA Focus Middle East, Nr. 5, Zugriff 28. April 2025.

      COAR (2021), The Syrian Economy at War: Captagon, Hashish and the Syrian Narco State, 27. April, Zugriff 8. April 2025.

      Cunningham, Andrew, Laurent Laniel, Lutz Preisler, Michael Bergner und Roumen Sedefov (2023), Captagon Trafficking and the Role of Europe, European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction und Bundeskriminalamt, Luxembourg: Publications Office of the European Union.

      Diehl, Jörg, Mohannad al-Najjar und Christoph Reuter (2022), Drogenhandel des Syrischen Regimes: „Sie Selbst sind das Kartell“, in: Der Spiegel, 25/2022, 17. Juni, Zugriff 2. April 2025.

      Drevon, Jerome (2025), Syria’s Uncertain New Order. Can Shara’s Government Unite a Country Ready to Explode?, in: Foreign Affairs, 11. April, Zugriff 11. April 2025.

      Global Initiative Against Transnational Organized Crime (2025), European Drug Trends Monitor, 2, März, Zugriff 8. April 2025.

      Hage Ali, Mohanad (2025), Double Dealers: Lebanon and the Risks of Captagon Trafficking, 19. März, Carnegie Endowment for International Peace, Zugriff 26. März 2025.

      Haid, Haid (2025a), Hezbollah’s Smuggling Lifeline: Can Syria’s New Authorities cut it off?, 26. März, Chatham House, Zugriff 13. April 2025.

      Haid, Haid (2025b), Assad’s Fall Ends Drug Smuggling – But Trafficking to Jordan Persists, 31. März, Chatham House, Zugriff 13. April 2025.

      Hokayem, Emile, Laith Alajlouni, John Raine und Hasan Alhasan (2025), Regional Reactions to the Transition in Syria, 6. März, International Institute for Strategic Studies, Zugriff 15. April 2025.

      Nair, Anagha und Aubin Eymard (2025), Inside Syria’s Captagon Industry, 6. Januar, Newlines Institute, Zugriff 15. April 2025.

      Robins, Philip (2016), Middle East Drugs Bazaar. Production, Prevention, and Consumption, London: Hurst.

      Rose, Caroline und Alexander Söderholm (2022), The Captagon Threat: A Profile of Illicit Trade, Consumption and Regional Realities, 5. April, Newlines Institute, Zugriff 15. April 2025.

      Rose, Caroline (2023), The Reach of the Trade in Captagon Beyond the Middle East, in: European View, 22, 2, 295-303.

      Shaar, Karam, Caroline Rose und Roaa Obaid (2025), Captagon in 2024: Implications After the Fall of the Syrian Regime, 25. Februar, Newlines Institute, Zugriff 3. März 2025.


      Lektorat GIGA Focus Nahost

      Petra Brandt

      Editorial Management


      Forschungsschwerpunkte

      Wie man diesen Artikel zitiert

      Bank, André, und Johannes Haupt (2025), Der Sturz Assads in Syrien ist nicht das Ende von Captagon, GIGA Focus Nahost, 4, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), https://doi.org/10.57671/gfme-25041


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      Johannes Haupt

      Johannes Haupt

      Universität Hamburg


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