Kurz notiert

Zu Vielfalt und Unsichtbarkeit. GIGA-Präsidentin Amrita Narlikar im Gespräch über Globalisierung, auch in der Wissenschaft

In einem ausführlichen Interview sprach GIGA-Präsidentin Amrita Narlikar mit dem Journalisten Carsten Germis über Diversität in Internationalen Beziehungen und Wissenschaft. Der endgültige Artikel wurde im Leibniz-Magazin im Juli 2022 veröffentlicht. Der Schwerpunkt der Ausgabe ist „Vielfalt und Einheit“. Teile des Interviews wurden nicht in die veröffentlichte Fassung aufgenommen, da sie aber auf wichtige Fragen von Internationalisierung und Diversität eingehen, freuen wir uns, sie mit Leser:innen unserer Website zu teilen.


  • Germis: Frau Professor Narlikar, Sie sind seit mehr als sieben Jahren Präsidentin des Hamburger GIGA. Was hat Sie dazu gebracht, die Universität Cambridge zu verlassen und nach Deutschland zu gehen?

    Narlikar: Ich hatte immer eine Zuneigung zu Deutschland. Meine Großeltern mütterlicherseits hatten sich selbst Deutsch beigebracht – und mein Vater hatte wissenschaftliche Kooperationen, zum Beispiel in Karlsruhe und Stuttgart. Ich habe meine Eltern bei ihren akademischen Besuchen in Deutschland begleitet. Was mich jedoch wirklich dazu brachte, mein altes Leben in Oxbridge aufzugeben, war das GIGA. Ich sah das Institut als einen Ort mit großem Potenzial. Besonders reizte mich, dass es ein Forschungsinstitut ist, das sich mit dem so genannten „Globalen Süden“ befasst und mit ihm zu Fragen realweltlicher Relevanz arbeitet. Seit Langem hatte ich mich gegen Theorien und politische Maßnahmen ausgesprochen, die ausschließlich auf westlichen Erfahrungen beruhen. Die Betrachtung von Ländern wie Indien und China vor allem durch die westliche Brille führte nicht nur zu einer verzerrten Wissenschaft, sondern trug auch zu höchst unzureichenden politischen Ergebnissen bei. Es war sehr aufregend zu erfahren, dass es in Deutschland ein Institut gab, das sich der Arbeit mit den Weltregionen verschrieben hatte und das meine langjährigen Anliegen und meine Leidenschaft teilte.

    Wo haben Sie als GIGA-Präsidentin Ihre Prioritäten gesetzt?

    Als ich ankam, hatte ich drei Prioritäten. Ich wollte das Institut in die Lage versetzen, innovative Spitzenforschung zu betreiben, die Drittmittel erhöhen, die diese Spitzenforschung ermöglichen und sicherstellen, dass die GIGA-Forschung nicht nur in der akademischen Welt sichtbar ist, sondern auch bei politischen Entscheidungsträgern, Medien und der breiten Öffentlichkeit Wirkung zeigt.

    Hat das funktioniert?

    Ich denke, die Ergebnisse sprechen für sich selbst. Seit 2014 haben wir die Zahl der Bücher bei renommierten Universitätsverlagen versiebenfacht, den durchschnittlichen Impact Factor unserer Zeitschriftenpublikationen mehr als verdoppelt und den Anteil der Publikationen in A-Journals von 20 Prozent auf 35 Prozent erhöht. Bei Drittmitteln war das GIGA schon 2014 in guter Verfassung, aber jetzt haben wir die eingeworbenen Drittmittel auf den höchsten Stand in der Geschichte des GIGA gebracht. Bei Öffentlichkeitsarbeit und Wissensaustausch mit der Politik haben wir das GIGA viel internationaler aufgestellt. Bis 2014 gab es hauptsächlich einen Austausch auf Bundesebene und in Hamburg. Seitdem hat das GIGA neue hochrangige Interaktionen mit dem UN-Sicherheitsrat, dem Weltwirtschaftsforum, der Welthandelsorganisation, der Münchner Sicherheitskonferenz, der Europäischen Kommission, mit Akteuren im globalen Süden und mit Spitzenforschungseinrichtungen wie Columbia University, JNU Delhi, Cornell, NYU, Cambridge, NUS Singapur aufgenommen.

    [... siehe Artikel veröffentlicht im Leibniz-Magazin (Link unten) …]

    Was bedeutet die vom Bundeskanzler festgestellte „Zeitenwende“ für die Wissenschaft? Wie erleben Sie die Situation in Deutschland – vor allem in Bezug auf die Vielfalt, die in dieser Ausgabe des Leibniz-Magazins im Mittelpunkt steht? Ist Deutschlands akademische Welt bereit für den Wandel?

    Das ist eine schwierige Frage. Und fairerweise muss man sagen, dass auch Oxford und Cambridge in Fragen der Vielfalt ihre Probleme haben, vor allem aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit. In gewisser Weise dachte ich also, ich hätte im Vereinigten Königreich schon alles gesehen, mit den Trinksprüchen auf Kirche und Königin in den alten Colleges. Ich stellte mir vor, dass es in Deutschland einfacher sein würde, weniger klassenbezogen, weniger „kolonial“. Ich habe mich geirrt.

    Das müssen Sie erklären.

    Das könnte daran liegen, dass sich die Aufmerksamkeit für „Vielfalt“ in der deutschen akademischen Welt weitgehend auf geschlechtsspezifische Fragen konzentriert hat. Es ist bezeichnend, dass es zwar einige Leibniz-Institute gibt, die von Frauen geleitet werden, aber nur sehr wenige, die von People of Colour geführt werden. In der Sektion B (die sozialwissenschaftlichen Institute) bin ich vielleicht die einzige Präsidentin, die einen nicht-europäischen, nicht-weißen Hintergrund hat. Wenn die Situation bei Leibniz illustrativ ist, dann ist die deutsche Wissenschaft vermutlich nicht gewohnt, People of Colour in Führungspositionen zu sehen, was zu bewussten oder unbewussten Vorurteilen führen kann. Daraus ergibt sich manchmal eine ziemlich schwierige Mischung: Man wird in der Regel unter negative Beobachtung gestellt, was dazu führt, dass man unter extremem Druck arbeitet und selbst wenn man aufgrund von Fähigkeiten und harter Arbeit außergewöhnlich hohe Resultate erbringt, stellt sich Anerkennung nur schwerlich ein. Viel Gutes, das man tut und erreicht, kann unsichtbar gemacht werden, wenn man eine Person in einer herausragenden Position hat, die nicht der gängigen Norm entspricht. Außergewöhnliche Leistungen sind unvorstellbar, wenn sie von „Andersartigen“ kommen. Ich möchte betonen, dass ich hier nicht für positive Diskriminierung argumentiere, es sollten nur alle gleich und fair behandelt werden.

    Wo sollte die Wissenschaft da ansetzten?

    Wie Sie sich vorstellen können, kann die Situation ziemlich demotivierend sein. Zum Glück – von meiner persönlichen Warte aus – wurde mir von klein auf beigebracht, dass ich immer nach Spitzenleistungen um ihrer selbst willen streben sollte – und nicht, um die Anerkennung anderer zu gewinnen. Ich mache mir aber Sorgen darüber, welche Signale die deutsche Wissenschaft aussendet, wenn sie nicht für gleiche, leistungsorientierte Bedingungen für alle sorgt und lieber Leistungen von Menschen ignoriert, die irgendwie anders sind, die nicht in die anerkannten Schubladen passen. Wir wollen sicherlich die besten Köpfe unabhängig von ihrer Erscheinung oder Herkunft erreichen, um lebendige, intellektuelle Gemeinschaften zu schaffen; nur so wird es deutschen akademischen Einrichtungen möglich sein, wirklich Spitzenleistungen zu erzielen. Wann immer die Leistungen von weißen Männern, Frauen of Colour oder wem auch immer, unbewusst oder bewusst übergangen werden, muss diese „Unterlassung“ benannt und aufgezeigt werden. Ich weiß, dass es in der deutschen Wissenschaft und Politik genug gute Leute gibt und hoffe, dass sie sich dafür einsetzen werden.

    Zum Artikel im Leibniz-Magazin

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