GIGA Focus Nahost

Die VAE: vom Juniorpartner zur aufsteigenden Regionalmacht

Nummer 6 | 2017 | ISSN: 1862-3611


  • Sultan Bin Saeed Mansouri der VAE auf dem Arab Summit.
    © Reuters / Amr Dalsh
    Sultan Bin Saeed Mansouri der VAE auf dem Arab Summit.
    © Reuters / Amr Dalsh

    Die VAE werden in den letzten Jahren zunehmend als aktiver Partner Saudi-Arabiens gesehen – so als Alliierter im Jemen, als Verbündeter gegen Iran oder als lautstarker Unterstützer der Sanktionspolitik gegenüber dem Nach­baremirat Katar. Diese Darstellung als Gehilfe der Saudis verdeckt allerdings die zunehmende Eigenständigkeit emiratischer Außenpolitik sowie Konflikte mit Saudi-Arabien.

    • Wie auch im Fall Saudi-Arabiens und Katars intensivierten die Umbrüche in der Region seit dem Jahr 2011 die bisher begrenzten regionalpolitischen Aktivitäten der VAE.

    • Bereits früh wurden jedoch Unterschiede zwischen den drei Nachbarn ­deutlich. Dies betrifft vor allem die Einstellung zur Rolle der Religion in der Politik. Während Saudi-Arabien bevorzugt mit salafistischen Gruppen zusammenarbeitet, vertraut Katar auf seine engen Beziehungen zu Organisationen, die den Muslimbrüdern nahestehen. Die VAE hingegen sind bestrebt, islamistische Gruppen jedweder Couleur von der politischen Macht fernzuhalten.

    • Auch die innere Beschaffenheit als Föderation von sieben Einzelemiraten erklärt Besonderheiten: Innerhalb der VAE müssen die unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der Einzelemirate, vor allem von Abu Dhabi und ­Dubai, ausbalanciert werden.

    • Während die katarische Politik bislang keine dauerhafte Alternative zur ­Rolle Saudi-Arabiens als Regionalmacht anbietet, könnten die VAE diesbezüglich mehr Erfolg haben. Zum einen, weil ihre Ambitionen (noch) begrenzt sind, zum anderen, weil sie eine relativ ideologiefreie Politik verfolgen. Das erleichtert die Kooperation mit anderen Akteuren.

    Fazit

    Der Konflikt, der in den letzten Wochen zwischen Katar und einigen arabischen Nachbarstaaten eskaliert ist, überdeckt lediglich Gräben, die auch zwischen den VAE und Saudi-Arabien existieren. Eine stärkere Differenzierung zwischen den Golfmonarchien bietet westlichen Staaten mehr Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf mögliche Kooperationspartner und mehr Ansatzpunkte bei der Lösung von Krisen wie dieser.

    Die Entwicklung und Militarisierung der Außenpolitik der VAE

    Die „Katar-Krise“, die seit einigen Monaten die Region des Persischen Golfs beherrscht, wird in westlichen Medien überwiegend als von saudischen Macht- und Hegemonialansprüchen getrieben dargestellt. Diese Darstellung erkennt zurecht, dass manche Länder des selbstbezeichneten „Anti-Terror-Quartetts“ (ATQ), dem außer Saudi-Arabien noch die VAE, Bahrain und Ägypten angehören, eine eher passive Rolle einnehmen. Gleichzeitig wird jedoch negiert, dass gerade die VAE schon lange aus dem Schatten ihres größeren Nachbarn herausgetreten sind und eine eigenständige Außenpolitik verfolgen, die in einigen Punkten deutlich von der saudischen abweicht.

    Saudi-Arabien galt bereits seit Langem als der unbestrittene Hegemon auf der Arabischen Halbinsel. Als einziger nicht von den Briten kontrollierter Staat hatte es einen Vorsprung bei der Entwicklung der Staatlichkeit und Nationsbildung (mit Ausnahme vielleicht von Oman). Im Golfkooperationsrat (GCC), dem Zusammenschluss aller sechs Golfmonarchien, stellt das Königreich zudem beinahe 70 Prozent der Gesamtbevölkerung, ca. 50 Prozent des BSP und die Hälfte des Truppenkontingents. Umso mehr Medienaufmerksamkeit konnte daher ab dem Jahr 2011 Katar auf sich ziehen, als es eine zunehmend aktive Rolle in den Umbrüchen in der Nahost-Region einnahm und zeitweise den saudischen Einfluss weit überstrahlte.

    Im Schatten der verstärkten Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Katar blieb das immer selbstbewusstere Auftreten eines anderen Nachbarn fast unbeobachtet: Die VAE entwickelten sich mehr und mehr zu einem – auch militärisch – ernstzunehmenden regionalen Akteur. Traditionell sind die Golfstaaten nicht für ihre militärische Stärke bekannt, jedoch bilden die VAE eine Ausnahme. Vor allem seit Beginn der Arabischen Aufstände im Jahr 2011 wurde eine sicherheitspolitische Aufrüstung eingeleitet. Der Präsident der VAE und Emir von Abu Dhabi, Chalifa bin Zayid Al Nahyan, verdoppelte die Militärausgaben und führte eine nationale Wehrpflicht ein (Fromkin 2015).

    Die Invasion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990 weckte in allen Golfmonarchien das Bewusstsein für die Bedeutung des militärischen Faktors in der Außen- und Sicherheitspolitik. Zumindest nominell beteiligten sich alle an der Operation „Wüstensturm“ zur Befreiung der Schwestermonarchie Kuwait. Für die VAE war damit der „militärische Appetit“ aber erst geweckt worden. Als einziges muslimisches Land beteiligten sie sich an KFOR im Kosovo 1999 – der erste emiratische „out-of-area“-Einsatz – und nahmen danach an fast jedem größeren internationalen Militäreinsatz teil: in Afghanistan, in Libyen und in Syrien als Teil der Militärkoalition gegen den „Islamischen Staat“ (Roberts 2017). Dieses erhebliche militärische Engagement verleitete General James Mattis, den derzeitigen US-Verteidigungsminister, dazu, den VAE den Spitznamen „Little Sparta“ zu verleihen.

    Libyen: Symbol einer neuen Phase emiratischer Außenpolitik

    Es blieb nicht bei der bloßen Gefolgschaft in US-amerikanisch geführten Koalitionen. Wie auch Katar beteiligten sich die VAE im Jahr 2011 in Libyen an der Durchsetzung einer Flugverbotszone gegen das Gaddafi-Regime. Dabei stellten sie je sechs F-16 und Mirage 2000 Kampfflugzeuge und verliehen der von der NATO geführten Militärkoalition damit zusätzliche Legitimität (Roberts 2017). Doch mit dem Fall der libyschen Dschamahirija (wie die „Volksrepublik“ unter Gaddafis Herrschaft hieß) begann erst die Einmischung in das Konfliktgeschehen des Landes. Der gemeinsam mit Ägypten im Jahr 2014 unternommene überraschende Militäreinsatz in Libyen markierte eine neue Ära der selbstbewussten emiratischen Außenpolitik – und gleichzeitig eine neue Phase der Rivalität mit Katar. Er wandelte sich zunehmend in eine Unterstützungsintervention für General Khalifa Haftar, den Anführer einer der sich bekriegenden Faktionen, während Katar auf der anderen Seite die Muslimbrüder unterstützte. Auch der nichtmilitärische Einfluss in der Region nahm zu und die VAE wurden neben Saudi-Arabien und – anfänglich auch Katar – zu einem der wichtigsten Financiers des postrevolutionären Tunesiens und Ägyptens (Sons und Wiese 2015).

    Ein weiterer Meilenstein des emiratischen Aktionismus war die Teilnahme am jemenitischen Bürgerkrieg, den die Mitgliedsstaaten des Gulf Cooperation Council (GCC) (mit Ausnahme Omans) zusammen mit einigen Alliierten im März 2015 begonnen hatten. Die VAE waren zusammen mit Saudi-Arabien die eigentlichen Initiatoren der Intervention. Eine große Überraschung bestand für externe Beobachter vor allem darin, dass zum ersten Mal in größerem Ausmaß einheimische Soldaten als Bodentruppen ins Kriegsgeschehen geschickt wurden und infolge dessen emiratische, saudische, bahrainische und katarische Staatsbürger in bisher noch nie gekanntem Ausmaß starben. Zusätzlich zu den eigenen Soldaten setzten die VAE Söldner aus Kolumbien, Sudan und Südafrika ein. Rekrutiert werden diese vom Sicherheitsunternehmen Reflex Responses (R2). Dieses Unternehmen wurde von Erik Prince gegründet, der auch als Gründer des berüchtigten privaten Sicherheitsunternehmens Blackwater (aktuell als „Academi“ bezeichnet) bekannt ist (Al-Araby Al-Jadeed 2017). Mit der Einnahme von Aden und Mukalla erzielten die VAE im Jemen zudem größere militärische Erfolge als ihre saudischen Partner.

    Gleichzeitig intensivierten die VAE ihre außerregionalen Beziehungen, vor allem mit ostafrikanischen (Proto-)Staaten wie Eritrea, Dschibouti, Somalia und Somaliland. Pachtverträge für Militärbasen mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren wurden in den letzten Jahren mit Eritrea und Somaliland abgeschlossen (2015 waren die VAE jedoch – zusammen mit Saudi-Arabien – aus unbekannten Gründen aus einer gemeinsam verwendeten Logistikbasis auf Dschibuti ausgewiesen worden). Die VAE unterhalten intensive Beziehungen zu den diversen somalischen (Teil)Regierungen; sie trainieren die maritime Polizei von Puntland und finanzieren den Ausbau des Hafens von Berbera in Somaliland. Neben Sudan sind Eritrea und Somalia aktive Teilnehmer der Militärkoalition im Jemen und aufgrund ihrer geographischen Lage auch eminent wichtig. Nach Angaben von EU-Diplomaten gehört dies zu einer emiratischen „one-belt-one-port“-Strategie am Horn von Afrika, die Chinas „one-belt-one-road“-Strategie (die „neue Seidenstraße“ zur Maximierung seiner Regionalmacht) nachahmen soll. Nicht immer konnten diese Beziehungen aber direkt in politisches Kapital umgesetzt werden: Weil die Regierung in Mogadischu trotz erheblichen Drucks die Beziehungen zu Katar bis jetzt nicht abgebrochen hat, erwägen die VAE die Beendigung ihres Programms, das Spezialeinheiten der somalischen nationalen Armee ausbildet, ausrüstet und finanziert (Abdi 2017).

    Der einzige größere regionale Konflikt, in dem die VAE keine maßgebliche Rolle spielen, ist der Syrien-Krieg (abgesehen vom Einsatz gegen den IS). Obwohl dies eine bedeutsame Ausnahme darstellt, wird hiermit deutlich, dass die VAE nicht nur eine vom GCC und Saudi-Arabien unabhängige Außenpolitik betreiben, sondern dass sie mit dieser Außenpolitik auch sehr klare und zunehmend selbstbewusstere Positionen vertreten.

    Der Kampf gegen die Muslimbruderschaft als Antrieb der Außenpolitik der VAE

    Der vielleicht augenfälligste Unterschied zu den Positionen seiner Nachbarn besteht in der Einstellung der VAE zur Rolle des politischen Islam. Saudi-Arabien fördert, bedingt durch sein Herrschaftssystem, generell die Ausbreitung eines konservativen Islam nach saudischer (wahhabitischer) Lesart in- und außerhalb der Region und unterstützt besonders salafistische Akteure.

    Ähnlich wie die VAE und im Gegensatz etwa zu Saudi-Arabien kultiviert Katar zwar das Image eines „fortschrittlichen“ und „modernen“ arabischen Staates, ist dabei aber ebenso wie Saudi-Arabien wahhabitisch geprägt. Anders als Saudi-Arabien unterstützt Katar dennoch selten Salafisten, sondern mit großem Engagement die Muslimbruderschaft und ihre Zweigorganisationen in der gesamten Region, mit deren Führern die katarische Herrscherdynastie der Al Thani seit Jahrzehnten enge persönliche Beziehungen pflegt.

    Die VAE wenden sich hingegen vehement gegen die Verknüpfung von Religion und Politik in jeglicher Form. Besonders heftig wird dabei die Muslimbruderschaft bekämpft. Dieser Konflikt kann darauf zurückgeführt werden, dass die Herrscherfamilien der einzelnen Emirate die Muslimbruderschaft und ihren einheimischen Zweig, die Islah, als Gefahr für ihre Sicherheit ansehen. Die Islah war lange Zeit eine wichtige Keimzelle für politische Aktivitäten und die Herrscher der Emirate befürchteten durch sie eine Aufwiegelung der Bevölkerung, im Extremfall sogar Bestrebungen, das Regime zu stürzen. Im Jahr 2013 wurden 69 von 94 angeklagten Emiratis für einen Putschversuch verurteilt – viele davon waren Mitglieder der Islah (Bayoumi 2013). Im Jahr 2014 wurde die Muslimbruderschaft von den VAE und Saudi-Arabien als terroristische Gruppierung klassifiziert.

    Aus den zuvor erläuterten Tatbeständen erklärt sich auch die enge Beziehung der VAE zur ägyptischen Regierung um Abd al-Fattah as-Sisi, der im Jahr 2013 den von der Muslimbruderschaft aufgestellten Präsidenten Muhammad Mursi gestürzt hatte. Die emiratische Präferenz für antiislamistische „Strongmen“ zeigt sich zudem in der massiven Unterstützung für den libyschen Warlord Haftar und den Fatah-Politiker Mohammed Dahlan, der als zukünftiger Anführer der Palästinenser in Gaza gegen die Hamas gehandelt wird. Auch die Hamas versteht sich historisch als Zweig der Muslimbruderschaft. In Tunesien unterstützten die VAE Nidaa Tounis als Gegenpartei zur Ennahda, die mutmaßlich von Katar unterstützt wurde und den Muslimbrüdern nahe steht (Sons und Wiese 2015).

    Saudi-Arabien hat sich dieser Politik in den letzten Regierungsmonaten von König Abdullah angeschlossen (Spekulationen, dass die Emiratis dabei die altersbedingte Unaufmerksamkeit Abdullahs ausgenutzt haben, reißen nicht ab – Dorsey 2017a). Der Nachfolger von König Abdullah, Salman, betrieb hingegen wieder eine zaghafte Annäherung an die Muslimbrüder.

    Aus diesen Gründen ist die Politik Katars, die auf enge Zusammenarbeit mit islamistischen Gruppen setzt, für die VAE besonders empörend und problematisch: Eine Untergrabung der Position der Herrscherfamilien untereinander ist traditionell ein Tabu zwischen den Golfstaaten.

    Dies bedeutet allerdings nicht, dass nicht bisweilen taktische Zugeständnisse an islamistische Gruppen gemacht werden. Trotz ihrer Bestrebungen, die Islah im Jemen zu marginalisieren, ließen es die VAE zu, dass Saudi-Arabien in Taiz einem Islah-Kommandanten eine politische Schlüsselrolle erteilte (Roberts 2017). Vor dem Jahr 2001 waren die VAE, zusammen mit Saudi-Arabien und Pakistan (aber nicht Katar), zudem der einzige Staat, der die Taliban als rechtmäßige Regierung Afghanistans anerkannte (Katzman 2017: 17).

    Zusammen zeugen alle Fakten von einer großen Eigenständigkeit der emiratischen Außenpolitik, die sich nicht zuletzt in der aktuellen Krise zeigt: Auch die im Forderungskatalog an Katar enthaltenen Anklagen gegen die Beziehung zu den Muslimbrüdern (und der Türkei, die sie ebenfalls unterstützt) verweisen auf die Handschrift der Emiratis (Dorsey 2017a). Dazu passen auch neueste Erkenntnisse US-amerikanischer Geheimdienste, wonach der Auslöser der Krise – eine ­angebliche provokante Rede des Emirs von Katar auf einer offiziellen katarischen Webseite – auf einen von den VAE in Auftrag gegebenen Hacker-Angriff zurückzuführen sein soll (Deyoung und Nakashima 2017).

    Abgesehen vom Kampf gegen die Muslimbruderschaft folgen die VAE – wie auch ihre Nachbarn – dem Paradigma der Stabilisierung autoritärer Herrschaft, womit fast automatisch eine Unterstützung von arabischen Militärführern einhergeht. Die Erfüllung der seit dem Jahr 2011 verstärkt eingeforderten Reformwünsche der Bevölkerung in vielen arabischen Staaten könnte für die Herrschaftsdynastien gefährliche Folgen haben. Islamistische Parteien könnten durch Wahlen Macht erlangen. Beispiele wie der Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 im Gazastreifen, der Ennahda in Tunesien sowie der Muslimbruderschaft in Ägypten im Jahr 2011 bekräftigen diese Gefahrenwahrnehmung. Selbst wenn ein solcher politischer Wandel am Ende nicht einträte, bestünde immer noch die Gefahr, dass Reformforderungen nach mehr politischer Partizipation und einer Lockerung oder gar Abschaffung der autokratischen Herrschaftsverhältnisse auch die Emirate erreichen könnten – bislang neben Katar seit dem Jahr 2011 das einzige arabische Land ohne nennenswerte Proteste.

    Die föderale Struktur der VAE beschränkt eine ideologisierte ­Politik

    Eine Besonderheit der VAE liegt in ihrer institutionellen Struktur begründet. Im Unterschied zu ihren Nachbarn sind sie kein zentralistischer Staat mit einer einzigen Herrscherfamilie, sondern bestehen aus sieben Teilemiraten. Dabei bestimmen Abu Dhabi und Dubai, die größten und reichsten Teilemirate, die Ausrichtung der Außenpolitik. Ihre Herrscher sind jeweils zugleich der Präsident und der Premierminister der Föderation. Bedingt dadurch, dass dennoch die Interessen aller sieben Emirate in Einklang zu bringen sind, waren weder eine einheitliche außenpolitische Linie noch die Verfolgung eines ideologischen „Anliegens“ möglich. Zum Beispiel wurde die maßgeblich von Abu Dhabi betriebene Politik gegen die islamistische Islah bis zum Jahr 2010 regelmäßig vom als „Napoleon des Golfs“ (Ahmadi 2008: 97) bezeichneten Herrscher des Emirats Ras al-Chaima, Scheich Saqr, hintertrieben. Auch antiiranische Positionen, die v.a. Abu Dhabi und Ras al-Chaima auf Grund eines Territorialstreits um drei Inseln im Persischen Golf vertreten, wurden bisweilen durch andere Emirate, nicht zuletzt Dubai, unterminiert.

    Hier zeigt sich einmal mehr die Rivalität zwischen Abu Dhabi und Dubai. Obwohl interne Streitigkeiten kaum an die Öffentlichkeit dringen, könnte die „neue“ emiratische Außenpolitik auch als Ausdruck des Dominanzstrebens von Abu Dhabi gegenüber Dubai interpretiert werden. Aus historischen und wirtschaftlichen Gründen ist Dubai stärker Iran zugeneigt als Abu Dhabi und tendiert auch in anderen Feldern weniger stark zur saudischen Linie. Obwohl kein offener Bruch zutage trat, waren auch in der jüngsten Krise um Katar aus Abu Dhabi eher konfrontative Töne zu hören und aus Dubai eher versöhnliche. Der Premierminister der VAE und Emir von Dubai, Mohammed bin Maktoum, rief in einem von ihm geschriebenen und auf Instagram veröffentlichten Gedicht zur Rückkehr zu einer „Einheit der Herzen“ und zum gegenseitigen Beschützen „ohne Groll und Hass“ auf (Al-Jazeera 2017). Da jegliche Politik auf gesamtnationaler Ebene daher eine Berücksichtigung und Balance der Belange aller Emirate notwendig macht, ist im Resultat die Außenpolitik oft deutlich weniger ideologisch und „missionarisch“ als beispielsweise in Saudi-Arabien. Das lässt sich zudem am geringeren Interesse der VAE für Konfessionalismus auf ideologisch-religiöser Grundlage erkennen.

    Die Präferenz der Person vor der Institution ist in den Golfmonarchien besonders stark ausgeprägt, weshalb die Rolle individueller Charaktere von entscheidender Bedeutung ist. Oft wird die enge Allianz zwischen Saudi-Arabien und den VAE auch als persönliche Freundschaft zwischen zwei tonangebenden Entscheidungsträgern gesehen, den beiden Kronprinzen der Staaten – Muhammad bin Zayid („MBZ“), der Erbe des Emirs von Abu Dhabi, und Muhammad bin Salman („MBS“), der Sohn des saudischen Königs und seit kurzem Thronfolger.

    Die Gräben innerhalb der „ATQ“

    Die Spaltungen und Konflikte beschränken sich jedoch nicht nur auf die innerstaatliche Ebene, sondern es gibt darüber hinaus mit dem engen Alliierten Saudi-Arabien trotz der erwähnten möglichen „Männerfreundschaft“ Spannungen und Meinungsverschiedenheiten. Dabei entzündet sich vieles an der unterschiedlichen Einstellung zum politischen Islam und der Unterstützung islamistischer Akteure, ob im Maghreb, Syrien, vor allem aber im Jemen. Hier sowie in der Frage der Bedeutung des Syrien-Krieges liegen die saudischen Positionen häufig deutlich näher an denen Katars als etwa der VAE.

    Bedingt durch den Herrscherwechsel in Saudi-Arabien im Januar 2015, sowie zudem durch die strategische Bedeutung der Islah-Partei im Jemen, wie ihr Namensvetter in den VAE auch der Muslimbruderschaft nahe stehend, fand in den letzten Jahren eine Wiederannäherung des saudischen Königshauses an die Muslimbrüder statt. Die Islah ist für die Saudis ein wichtiger Alliierter gegen ihre Hauptkontrahenten im Jemen, die Houthi-Rebellen und ihre Unterstützer. Für die VAE stellt sich die Gewichtung umgekehrt dar. Obwohl auch sie gegen die Houthi-Rebellen vorgehen, hat die Marginalisierung der jemenitischen Islah-Partei und damit eine weitere Unterdrückung ihrer emiratischen Schwesterorganisation Priorität. Zudem verfolgen die VAE langfristige Interessen im Jemen und schmiedeten von Anfang an enge Bande mit einheimischen Stämmen, vor allem im Süden des Landes, wo sie eine dauerhafte Präsenz zu erreichen versuchen.

    Besonders aufschlussreich für die teils tiefen Meinungsverschiedenheiten in der nach außen geschlossenen Einheitsfront ist der Inhalt von im Juni 2017 geleakten Emails von Yousef al-Otaiba, dem emiratischen Botschafter in Washington. Diese wurden offenbar als Reaktion auf den Hack der katarischen Webseite anonym an Medien wie The Intercept, weitergeleitet (Grim 2017). Diese Emails zeigen zum einen die engen Beziehungen al-Otaibas (beschrieben als der „charmanteste Mann von Washington“) zu Schlüsselfiguren der US-Außenpolitik auf. Zum anderen werden die Ambitionen der VAE und vor allem Abu Dhabis sichtbar, nicht nur den katarischen Einfluss einzudämmen, sondern Saudi-Arabien in Bedeutung und Einfluss in Washington zu überholen. Diese Politik fand dort offenbar durchaus Anklang. Elliott Abrams, ein neokonservativer amerikanischer Ex-Diplomat, schrieb Otaiba scherzhaft „Jeez, the new hegemon! Emirati imperialism!”. Otaiba antwortete in ähnlichem Ton und beschrieb die Bestrebungen seines Landes aufgrund des US-amerikanischen Rückzugs aus der Region als alternativlos (Dorsey 2017b).

    Im Vordergrund steht das Bestreben, Einfluss auf die saudische Entwicklung selbst zu bekommen. Als Teil dieser Strategie geht aus den Emails eine umfangreiche Lobby-Kampagne für den bereits erwähnten saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman hervor. Zudem wird deutlich, dass nicht nur reine Machtambitionen hinter den Bemühungen stecken, sondern auch eine ideologische Kluft. In einer geleakten Email an seine Frau beschreibt Otaiba Saudi-Arabien sinngemäß als „völlig wahnsinnig“, nachdem die Religionspolizei im Jahr 2008 rote Rosen am Valentinstag verboten hatte, wie das Online-Nachrichtenportal Middle East Eye wiedergab, das Katar nahe steht. Weitere Emails an den New York Times Kolumnisten Tom Friedman zeigen die Sicht Otaibas auf Saudi-Arabien als ein Land, mit dem sich Abu Dhabi wegen des Wahhabismus zweihundert Jahre lang befehdete, und mit dem daher niemand schlechtere Erfahrungen habe als die Emirate (Hearst und Swisher 2017).

    Die VAE und Saudi-Arabien: Wagging the dog?

    Aus diesem Überblick ergibt sich eine wesentlich differenziertere Sicht auf die Außenpolitik der VAE als das Klischee eines treuen Begleiters der Saudis. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass im Gegenteil in manchen Bereichen der „Schwanz mit dem Hund wedelt“. Dass das zumindest der Wunschvorstellung der VAE entspricht, deutete neben den bereits erwähnten Forderungen an Katar Otaiba selbst an, als er in weiteren seiner Emails davon sprach, die Saudis beeinflussen zu wollen – und nicht etwa andersherum (Dorsey 2017b).

    Diese Ambitionen sind zwar bislang nur begrenzt gegen die weiterhin domi­nante Position Saudi-Arabiens angekommen. Dennoch könnte die emiratische ­Politik ­etwas schaffen, was Katar durch seinen Alleingang nicht vermocht hat – eine glaubhafte Alternative zu Saudi-Arabien als Partner des Westens in der Golfregion darzustellen, ohne Riad komplett zu brüskieren. Das meist pragmatische Vorgehen der VAE und ihre bislang konzentrierten und begrenzten Ziele und Aktivitäten könnten dabei von Vorteil sein.

    Dies würde den USA, aber auch Deutschland eine größere Freiheit in Bezug auf die Wahl von Allianz- und Kooperationspartnern am Golf erlauben. Auch aktuelle Krisen (wie die Katar-Krise) könnten leichter gelöst werden, wenn die als binär erscheinende Blockbildung eher als ad-hoc Koalition interpretiert werden könnte, deren Mitglieder teils sehr unterschiedliche und vor allem unterschiedlich stark ausgeprägte Interessen verfolgen.

    Gleichzeitig dürfen westliche Entscheidungsträger nicht vergessen, dass auch hinter den pragmatischen, modernen und scheinbar säkular orientierten VAE ein autokratisches Regime steckt, das andere Autokratien fördert und unterstützt. Durch sein zunehmendes regionalpolitisches Engagement werden seit einiger Zeit vermehrt Vorwürfe über gravierende Menschenrechtsverstöße laut, vor allem im Rahmen der Jemen-Intervention. Wie zuvor bereits Katar werden sich auch die VAE damit auseinandersetzen müssen, dass mit größerer Macht auch eine größere Verantwortung und Kritik einhergeht.


    Fußnoten


      Literatur


      Wie man diesen Artikel zitiert

      Anna Sunik (2017), Die VAE: vom Juniorpartner zur aufsteigenden Regionalmacht, GIGA Focus Nahost, 6, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-53714-3


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      Anna Sunik

      Anna Sunik

      Former Doctoral Researcher




      Kapitel in Sammelband | 01.2016

      Die arabischen Monarchen – Geborene Herrscher?

      Anna Sunik

      Former Doctoral Researcher

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