Kurz notiert

Was kommt nach dem Krieg?

Julia Strasheim, Friedens- und Konfliktforscherin am GIGA, beleuchtet die Rolle von Übergangsregierungen in Nachkriegsgesellschaften.

Ein regierungskritischer Demonstrant hält eine ukrainische Flagge, während er durch brennende Barrikaden auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew schreitet.
© Reuters / Yannis Behrakis
Ein regierungskritischer Demonstrant hält eine ukrainische Flagge, während er durch brennende Barrikaden auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew schreitet.
© Reuters / Yannis Behrakis

Von der Ukraine über Nepal bis nach Liberia: Wenn sich der Nebel des Kriegs lichtet, werden häufig Übergangsregierungen eingesetzt. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob Regionen nachhaltig zum Frieden finden. Ein Blick rund um die Welt zeigt: Nicht immer gelingt dies. Julia Strasheim, Friedens- und Konfliktforscherin am GIGA, beleuchtet die Einflussfaktoren.

Sie forschen zu Übergangsregierungen in Nachkriegsgesellschaften. Was unterscheidet sie von normalen Regierungen?

Nach Bürgerkriegen müssen meistens zwei Dinge passieren. Zum einen sollen bewaffnete Konflikte nun friedlich und im Rahmen politischer Institutionen ausgetragen werden. Übergangsregierungen werden also eingesetzt, um Wahlen durchzuführen und Demokratie zu fördern. In sich sind sie aber komplett undemokratisch. Sie werden ernannt, nicht gewählt. In der Forschung nennen wir sie deshalb 'wohlwollende Autokraten‘. Zum anderen muss Sicherheit wiederhergestellt werden und Übergangsregierungen sollen Gesellschaften stabilisieren. Aber wer sitzt in diesen Übergangsregierungen? Oftmals Leute, die für den Krieg verantwortlich sind, und die jetzt die Macht haben um wichtige Entscheidungen zu treffen. Übergangsregierungen sind daher überaus paradoxe Konstrukte.

Ein jüngeres Beispiel für den Erfolg - und auch für den Misserfolg - einer Übergangsregierung ist die Ukraine. Warum hat es dort innerhalb von zehn Jahren zwei so unterschiedliche Entwicklungen gegeben?

In der Tat unterscheidet sich die Situation, wie sie während der orangenen Revolution 2004 geherrscht hat, beträchtlich von der im Jahr 2014. Damals sind die Parteien Kompromisse eingegangen. Regierung und Opposition haben Verfassungsreformen ausgehandelt, die für beide Seiten von Vorteil waren, sie haben ein Power-Sharing-Abkommen getroffen. Alle Parteien haben sozusagen etwas vom "Kuchen“ der Macht abbekommen, was zu einem friedlichen Verlauf geführt hat. Nach den Protesten von 2014 sah die Grundsituation ähnlich aus: Auf der einen Seite war die Opposition aus der Westukraine und auf der anderen Seite waren Janukowitsch und seine Unterstützer aus der Ostukraine. Aber dieses Mal wurde kein Machtteilungsabkommen umgesetzt.

Warum nicht?

Da gibt es viele Gründe. Unter anderem war das Regime von Janukowitsch gegenüber den Demonstranten auf dem Maidan-Platz gewaltsam vorgegangen, wodurch es sich selbst delegitimiert hat. Und unter der Maidan-Bewegung war auch die rechtsradikale Swoboda-Partei mit dabei, während Stimmen aus der Ostukraine und von Janukowitsch’s Partei überhaupt nicht eingebunden wurden. Viele Menschen in der Ostukraine fühlten sich dadurch stark ausgegrenzt, was zur Gewalt beigetragen hat.

Hätte man nicht später trotzdem alle Akteure ins Boot holen können?

Die Übergangsregierung hat gerade in den ersten Wochen sehr unklug gehandelt. Sie hat zum Beispiel erstmal diskutiert, ob Russisch als Amtssprache abgeschafft werden solle. Das ist am Ende nicht durchgekommen, weil der Präsident sich geweigert hat, so ein Gesetz zu unterschreiben. Aber allein die Tatsache, dass solch ein Vorschlag am Anfang der Übergangsphase im Raum stand, hat die Unsicherheit und die Angst der ethnischen Russen und der Menschen in der Ostukraine vergrößert. Sie mussten gedacht haben: Wir werden durch diese Übergangsregierung in unserer Existenz bedroht.

Wie sieht ein Idealrezept für eine Übergangsregierung aus?

Es ist wichtig, zum Beispiel durch Power-Sharing allen Akteuren die Möglichkeit zu geben, Gesetze mit zu entwerfen, damit sich alle im Nachkriegsstaat sicher fühlen. Ein zweiter Punkt ist die Mitwirkung von internationalen Akteuren, zum Beispiel der UN als Sicherheitsgarant für die Parteien. Noch wichtiger als die Zusammensetzung dieser Regierungen ist aber, darauf zu achten, was sie machen und wie sie es machen. Übergangsregierungen sollten vor den ersten Wahlen Akteure demobilisieren und entwaffnen. Auch zivilgesellschaftliche Akteure und unbewaffnete politische Parteien müssen einbezogen werden.

Welche Übergangsregierungen waren erfolgreich?

In Nepal hat die Übergangsregierung 2006 ein starkes Machtteilungsabkommen für die maoistischen Rebellen ausgehandelt, mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung. Auch in Liberia ist es 2003 der Übergangsregierung gelungen, den Bürgerkrieg zu beenden. Natürlich herrschen in beiden Ländern immer noch viele Konflikte, und demokratische Strukturen sind instabil. Aber im Vergleich dazu haben die Übergangsregierungen in Burundi, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Kambodscha es gar nicht geschafft, die Gewalt einzudämmen. Die Empirie zeigt auch, dass Power-Sharing in ein bis zweijährigen Übergangsregierungen ein geeignetes Mittel ist, um Rebellengruppen oder bewaffnete Gruppen ‚einzukaufen‘. Aber Power-Sharing ist oft kein Allheilmittel, das ewig wirkt. Das sehen wir zum Beispiel in Bosnien, wo Power-Sharing seit 1996 das Regierungssystem durchzieht und zu bürokratischem Stillstand und hoher Korruption beiträgt.

Vielen Dank für das Gespräch

Der Aufsatz "Power-sharing, commitment problems, and armed conflict in Ukraine" erscheint im April 2016 im Sammelband "Civil Wars". Er kann hier bestellt werden.

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