GIGA Insights | 25.09.2025

Von Kokain bis Captagon: Warum die Drogenpolitik einen umfassenden Ansatz benötigt

Noch nie war so viel Kokain weltweit im Umlauf wie heute – auch in Europa steigt die Nachfrage rasant. Der Hamburger Hafen spielt dabei eine zentrale Rolle als wichtiger Umschlagplatz für den Drogenschmuggel aus Lateinamerika. Doch Kokain ist nur ein Teil eines komplexen globalen Problems: Captagon, Fentanyl, Methamphetamin und andere Substanzen verbreiten sich extrem schnell und verursachen Gewalt, Korruption, Gesundheitskrisen und soziale Verwerfungen. 


  • Die GIGA-Forschenden Prof. Dr. Sabine Kurtenbach, Janaina Maldonado und Dr. Jonas von Hoffmann haben gemeinsam mit Partnern der EU-LAC Foundation und dem Hamburg Institute for Advanced Studies (HIAS) einen Policy Brief veröffentlicht, in dem sie sich für eine umfassende und koordinierte Strategie gegen Drogenhandel aussprechen und die Eindämmung des Drogenhandels als globale Aufgabe sehen. Im Interview geben sie Einblicke in die zentralen Erkenntnisse und skizzieren, wie eine nachhaltige Drogenpolitik aussehen könnte. 

    Was wird aktuell getan, um den Schmuggel von Kokain einzudämmen, insbesondere in Europa und Lateinamerika? 

    GIGA-Expert:innen: Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: solche, die das Angebot eindämmen, und solche, die die Nachfrage reduzieren sollen. Kokapflanzungen zu vernichten oder alternative Einkommensquellen zu schaffen, sind Beispiele für angebotsseitige Maßnahmen. Die Nachfrageseite setzt hingegen auf Prävention und Therapieangebote für Konsument:innen von Kokain. Trotz dieser differenzierten Ansätze dominiert in der Praxis vielerorts weiterhin ein repressiver Kurs. Insbesondere Kleinbauern und -bäuerinnen und Dealer geraten ins Visier von Strafverfolgung und Inhaftierung. 

    Was Angebot und Nachfrage verbindet, ist eine ausgeklügelte globale Lieferkette, von der Kokaproduktion in Kolumbien, Peru und Bolivien bis hin zu Kokainkonsument:innen weltweit. Entlang dieser Lieferkette wird versucht, den Fluss illegaler Waren durch Ermittlungsarbeit, Überwachung und Beschlagnahmungen aufzudecken und zu unterbrechen, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in Häfen wie Hamburg, über die ein Großteil des weltweiten Kokains verschifft wird. Die meisten Strategien konzentrieren sich jedoch isoliert auf nur einen Abschnitt der Lieferkette, wie die Produktion, den Transport oder den Konsum.  

    Warum gilt der „Krieg gegen Drogen“ als gescheitert? 

    Der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ begann 1972 mit US-Präsident Richard Nixon und dauert bis heute an. Getragen wird er vor allem von repressiven, angebotsorientierten Maßnahmen wie Zwangsvernichtung, Verboten und Inhaftierungen. Doch trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist weder das Angebot noch die Nachfrage spürbar zurückgegangen – im Gegenteil: Der weltweite Drogenkonsum nimmt weiter zu. Gleichzeitig hat dieser Krieg schwerwiegende Nebenwirkungen: wiederholte Menschenrechtsverletzungen, Gesundheitskrisen, Umweltzerstörung, eskalierende Gewalt, die Schwächung staatlicher Institutionen und weitere negative Folgen. 

    Was sind die wirksamsten Hebel zur Bekämpfung des Drogenhandels? 

    Zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels sind ineffizient und weitgehend wirkungslos, da sie auf die schwächsten Glieder der Lieferkette abzielen, wie Kokabauern und -bäuer:innen und Straßendealer. Aber ihre Herauslösung ändert nichts an der Dynamik: Effektiver wäre es, sich auf transnationale Drogenhändler, Geldwäsche oder sogenannte Broker zu konzentrieren, die als Schlüsselfiguren den internationalen Drogenfluss ermöglichen. Diese Zielgruppe ins Visier zu nehmen, erfordert allerdings mehr Ressourcen, ist komplexer und zeitintensiver. Und selbst wenn einzelne Akteure ausgeschaltet werden, bleibt das System intakt. Solange die Gewinnmargen hoch sind, stehen schnell neue Akteure bereit, die entstandenen Lücken zu füllen. Hinzu kommt, dass sich das globale Drogennetzwerk auf Schutzmärkte und staatliche Infiltration stützt, ermöglicht durch korrupte Beamte. Eine wirksame Strategie muss daher über punktuelle Maßnahmen hinausgehen und die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verflechtungen zwischen Drogenhandelsorganisationen und staatlichen Strukturen in Produktions- wie Konsumländern in den Blick nehmen. In unserem Policy Brief analysieren wir diese Zusammenhänge und geben konkrete Empfehlungen für alle kritischen Punkte entlang der Lieferkette, darunter eine verstärkte biregionale Zusammenarbeit sowie die aktive Einbindung der Zivilgesellschaft in die politische Gestaltung von Drogenpolitik. 

    Was konkret kann Deutschland im Hamburger Hafen tun? 

    Einige unverzichtbare Schritte sind bereits in Ansätzen erkennbar: bessere Datenlage, Lernen aus Erfolgen und Fehlschlägen, intensivere behördenübergreifende Zusammenarbeit sowie der internationale Austausch von Erkenntnissen. Zu diesen Bemühungen gehört auch die realistische Einschätzung, dass selbst das engmaschigste Sicherheitsnetz nicht verhindern kann, dass immer wieder Drogen durchrutschen. 

    Konkret können Maßnahmen wie der Ausbau der physischen Sicherheit in Häfen, der Einsatz moderner Überwachungstechnologien, das Schließen von Sicherheitslücken, die Sensibilisierung von Beschäftigten sowie technologische Innovationen den Drogenschmuggel über einzelne Umschlagplätze deutlich erschweren. Entscheidend ist jedoch, dass diese Maßnahmen entlang der gesamten Lieferkette abgestimmt werden. Nur so lässt sich der sogenannte „Balloneffekt“ vermeiden, also die bloße Verlagerung von Schmuggelrouten in andere Regionen. 

    Was ist gemeint mit „Economies of Peace“? 

    Der Begriff stammt aus der Friedensforschung und beschreibt Wirtschaftsformen, die keine direkte physische Gewalt erzeugen. Während viele ökonomische Strukturen strukturelle Gewalt, Ungleichheit und Menschenrechtsverletzungen begünstigen, geht mit dem illegalen Drogenhandel häufig ein hohes Maß an physischer Gewalt einher, etwa wenn kriminelle Organisationen gegeneinander oder gegen den Staat kämpfen oder zivilgesellschaftliche Akteure unter Druck setzen und zum Schweigen bringen. Im Zusammenhang mit illegalen Drogen zielen „Economies of Peace“ darauf ab, diese Dynamiken zu verändern, z.B. durch verbesserte Lebensgrundlagen, eine stärkere Zivilgesellschaft und eine verantwortungsvolle Regierungsführung im Rahmen rechtsstaatlicher Prinzipien. 

    Wie lässt sich das im Kontext des Drogenmarkts umsetzen? 

    Dazu braucht es noch deutlich mehr Forschung. Eine Teilnehmerin unseres Workshops brachte es so auf den Punkt: „Der Drogenhandel basiert heute zunehmend auf flexiblen Netzwerken, die sich schnell an neue Kontexte und Gegenmaßnahmen anpassen können.“ Künftige Forschung muss die Komplexität von Produktion, Handel und Konsum illegaler Drogen stärker in den Blick nehmen. Es braucht eine umfassende Perspektive, die die verschiedenen Problemdimensionen – etwa Ursachen, Kriminalität oder Marginalisierung – nicht nur einzeln betrachtet, sondern gezielt ihre Wechselwirkungen analysiert. Um den Auswirkungen der Drogenwirtschaft wirksam zu begegnen, müssen wir selbst ein (Forschungs-)Netzwerk aufbauen. 

    Expert:innen


    Interview: Lisa Sänger


    Visualizing Drug Flows: Maritime Routes, Cocaine Seizures, and Coca Cultivation

    This visual exploration examines two distinct aspects of drug trafficking using seizure data from the United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC). The first focuses on maritime drug trafficking, analyzing sea-related seizures that occurred in ports, harbors, territorial waters, rivers, or aboard vessels. The second shifts to cocaine paste (pasta básica), exploring the scale, distribution, and concentration of large interdictions. Through interactive visualizations, this exploration provides insights into where and how major drug seizures take place, offering a data-driven perspective on interdiction patterns.

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