Kurz notiert

Trauer um Dr. Brunhild Staiger

Brunhild Staiger ist am 12. März 2017 verstorben. Von 1975 bis 2003 war sie stellvertretende Direktorin im Institut für Asienkunde (heute GIGA Institut für Asien-Studien).

Mit Brunhild Staiger ist am 12. März 2017 eine China-Wissenschaftlerin verstorben, die es wie wenige verstanden hat, ihr Wissen über die traditionelle chinesische Kultur und Geschichte mit dem Anspruch einer gegenwartsbezogenen Chinaforschung zu verbinden. Seit ihrem Studium und der Promotion bei Wolfgang Franke Ende der 1960er Jahre verfolgte sie Forschungsthemen, die sie auch nicht dem Tagesgeschäft am Institut für Asienkunde (dem heutigen GIGA Institut für Asien-Studien) opferte. Dazu zählten der Konfuzianismus und die Bedeutung anderer geistiger Strömungen für den Modernisierungsprozess in China, die Literaturpolitik Mao Zedongs sowie die Bedeutung der Taiping-Bewegung.

Das Interesse an China und der Sinologie hatte seine Wurzeln wohl in der Familiengeschichte. So hatte ihr Vater die ersten zehn Jahre seines Lebens in der ehemaligen deutschen Kolonie Qingdao verbracht. Auch ihr Ehemann (Dr. Rainer Esterer) war in China geboren worden. Zunächst begann sie im Jahre 1958 mit dem Studium der Sinologie nur als drittes Studienfach, doch die Faszination für dieses Land, seine Sprache, Geschichte und Kultur verstärkte sich dann. Ihr Lehramtsstudium für Geschichte und Englisch schloss sie zwar noch mit der wissenschaftlichen Prüfung im Jahr 1964 ab, doch widmete sie sich dann nur noch der Sinologie mit dem Nebenfach Japanologie am Seminar für Sprache und Kultur Chinas an der Universität Hamburg. Eine wichtige Station ihrer akademischen Laufbahn war ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin von 1968 bis 1973 bei Professor Wolfgang Franke. Bei ihm promovierte sie zum Thema „Das Konfuzius-Bild im kommunistischen China: Neubewertung von Konfuzius in der chinesisch-marxistischen Geschichtsschreibung“, Hamburg 1969. Mit Wolfgang Franke zusammen gab sie 1974 das China-Handbuch (Bertelsmann Universitätsverlag, 898 Seiten) heraus, das in einem Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ im Jahr 1975 als „das erste seiner Art in einer westlichen Sprache, vorbildlich und ohne Beispiel im Hinblick auf Übersichtlichkeit, Fundiertheit und Ausführlichkeit“ genannt wurde.

Da sie nicht nur ein starkes Forschungsinteresse am traditionellen, sondern auch am gegenwartsbezogenen China besaß, folgte sie 1973 dem Angebot, am Institut für Asienkunde (heute GIGA Institut für Asien-Studien) als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten. Dort wirkte sie von 1975 bis 2003 als stellvertretende Direktorin, die neben vielfältigen administrativen Aufgaben auch die redaktionelle Verantwortung für die Monatszeitschrift „China aktuell“ sowie für verschiedene Buchreihen übernahm. Vor allem durch die Zeitschrift und die Buchreihe „Mitteilungen des Instituts für Asienkunde“ trug Brunhild Staiger zur öffentlichen Sichtbarkeit und zum Renommee des Instituts bei. Gleichzeitig wurde das Institut damit zu einem Knotenpunkt der Chinaforschung, das Wissenschaftlern und dem Nachwuchs eine Plattform für den Austausch sowie der breiten Öffentlichkeit eine fundierte Basis für aktuelle Informationen und Einschätzungen bot.

Dass sie neben ihren zahlreichen Aufgaben am Institut noch die Zeit für eigene wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Analysen in der Zeitschrift „China aktuell“ fand, war erstaunlich. Im Rahmen der Zeitschrift deckte sie die Berichtsbereiche Bildung und Wissenschaft, Literatur und Kultur sowie Demografie ab. In ihren Beiträgen spiegelte sich ihr Interesse an der Frage nach der aktuellen Bedeutung des Konfuzianismus, der Rolle der Intellektuellen im chinesischen Reformprozess sowie den Hintergründen und Auswirkungen des Taiping-Aufstands wider. Brunhild Staiger brachte aber auch internationale Wissenschaftler durch von ihr organisierte Konferenzen in Hamburg zusammen und trug mit der Veröffentlichung von verschiedenen Sammelbänden über „Shanghai: Chinas Tor zur Welt“ zur Hamburger Städtepartnerschaft mit Shanghai bei. An ihren großen Erfolg mit der Herausgabe des China-Handbuchs von 1974 konnte sie am Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn nochmals anschließen. In der Mitherausgeberschaft von Stefan Friedrich und Hans Wilm Schütte sowie unter Mitarbeit von Reinhard Emmerich brachte sie 2003 „Das große China-Lexikon: Geschichte, Geographie, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Kultur“ (Primus Verlag, 974 Seiten) heraus. In einer Rezension des Buches in der Zeitschrift „Asien“ im Juli 2003 wird die Notwendigkeit eines solchen Referenzwerkes auch in Zeiten des Internets mit seiner Überfülle von Informationen hervorgehoben. Die Beteiligung von 261 renommierten Chinawissenschaftlern an der Bearbeitung der einzelnen Themen habe dazu beigetragen, den hohen wissenschaftlichen Anspruch dieses empirisch gut fundierten Lexikons zu realisieren. Dass Brunhild Staiger sich diesem Werk auch nach ihrem Eintritt in den Ruhestand verpflichtet fühlte, machte sie mit der anschließenden Organisation und Betreuung der englischsprachigen Online-Herausgabe durch den Brill-Verlag deutlich.

Die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde trauert um Brunhild Staiger, die lange Jahre im Vorstand der DGA aktiv war, für die Gesellschaft im Jahr 1995 die Konferenz „Nationalismus und regionale Kooperation in Asien“ organisierte und dazu 1996 den gleichnamigen Sammelband veröffentlichte. In der European Association for Chinese Studies (EACS) war sie auch Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Institut für Asien-Studien als Präsidentin (2004–2010) und Schatzmeisterin tätig, betreute Studienprogramme und setzte ihre Erfahrungen in der sinologischen Forschung auch auf europäischer Ebene ein. Brunhild Staiger hatte ein mit Schaffenskraft und Engagement erfülltes Wissenschaftlerleben. Sie prägte das moderne Chinabild durch ihre Tätigkeit in besonderer Weise. Die Nachricht von ihrem Tod hat nicht nur die Mitarbeiter des GIGA Instituts für Asien-Studien erschüttert, sondern ebenso ihre zahlreichen wissenschaftlichen Kollegen und Freunde im In- und Ausland.

Margot Schüller und Günter Schucher

Erschienen in ASIEN 144 (Juli 2017), S. 181-182

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