Kurz notiert

Südchinesisches Meer: Ein "Kristallisationspunkt für nationalistische Stimmungen"

Pascal Abb ist Research Fellow am GIGA Institut für Asien-Studien. Im Interview erklärt er, warum es in der Region immer wieder zu Konflikten kommt – und welche politische Rolle das Südchinesische Meer spielt.

Ein Besatzungsmitglied eines Schiffes der chinesischen Küstenwache signalisiert, dass es das Gebiet um die umstrittene Zweite Thomas-Scholle, die zu den Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer gehört, verlassen will.
© Reuters / Erik de Castro
Ein Besatzungsmitglied eines Schiffes der chinesischen Küstenwache signalisiert, dass es das Gebiet um die umstrittene Zweite Thomas-Scholle, die zu den Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer gehört, verlassen will.
© Reuters / Erik de Castro

Immer wieder kommt es im Südchinesischen Meer zu Streitigkeiten zwischen China und anderen Anrainerstaaten – darunter etwa die Philippinen, Indonesien und Vietnam. Warum?

Die Territorialkonflikte in der Region sind extrem komplex, da insgesamt sechs Parteien dort Inseln, Sandbänke und Riffe ganz oder teilweise beanspruchen und besetzt haben. Zudem ist rechtlich umstritten, ob und aus welchen dieser "Inseln" wirtschaftliche Rechte erwachsen. Dies führt zu häufigen Zusammenstößen, bei denen etwa Fischer von der Küstenwache anderer Staaten konfrontiert und verjagt oder verhaftet werden, um den eigenen Souveränitätsansprüchen Nachdruck zu verleihen. Diese Ansprüche werden überwiegend mit historischen Anrechten begründet, die heutzutage extrem schwer nachvollziehbar sind. Internationale Schlichtungsmechanismen greifen kaum und werden hauptsächlich von China auch prinzipiell abgelehnt.

Wie gehen die Staaten rund ums Südchinesische Meer mit dieser Situation um?

In der Region hat eine massive Machtverschiebung stattgefunden: Durch Chinas rasanten wirtschaftlichen Aufstieg hat es heute einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Staaten. Den hat Peking in den letzten Jahren auch zunehmend eingesetzt, um Fakten zu schaffen. Die chinesische Küstenwache ist in der Region inzwischen dominant, dazu kamen zuletzt Aufschüttungs- und Bauaktivitäten auf den eigenen Riffen, mit denen die chinesische Präsenz weiter gestärkt wird. Das erweckt in kleineren Staaten Sorgen, dass China auf dem Weg ist, nach der regionalen Hegemonie zu greifen. Es gibt Sondierungen über eine stärkere Kooperation etwa zwischen Vietnam und den Philippinen, aber auch externe Akteure stärken ihre dortige Präsenz. Das betrifft hauptsächlich die USA, die bereits direkt militärisch engagiert sind, aber auch Japan hat zuletzt etwa seine Verteidigungskooperation mit den Philippinen intensiviert. Dies weckt in Peking wiederum Ängste, zum Ziel einer Einhegungskoalition zu werden.

Was macht die Region so bedeutsam?

Das Schifffahrtsaufkommen ist erheblich – die meisten Handelsrouten, die Europa und Afrika mit Japan und China verbinden, führen durch das Südchinesische Meer. Zudem gibt es ergiebige Fischereigründe und es wird über Öl- und Gasvorkommen spekuliert. Aber nicht-materielle Faktoren sind heutzutage wahrscheinlich wichtiger: in den letzten Jahren hat sich das Südchinesische Meer zum Kristallisationspunkt für nationalistische Stimmungen gleich in mehreren Staaten entwickelt. In China ist die Durchsetzung der eigenen Ansprüche in der Region zu so etwas wie einem Prüfstein für Chinas Aufstieg geworden, mit dem die Kommunistische Partei wiederum ihren Machtanspruch rechtfertigt. In Vietnam und den Philippinen hingegen sind die Inseln heute Symbol des Widerstands gegen das übermächtige China. So kommt es in all diesen Staaten regelmäßig zu Demonstrationen, wenn sich Konflikte im Südchinesischen Meer entzünden, und die Regierungen geraten innenpolitisch unter Druck, wenn ihr Vorgehen als zu nachgiebig angesehen wird.

Sie haben innerhalb eines Forschungsprojekts die Meinungen von chinesischen Politikexperten zu diesen Fragen untersucht. Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?

Chinesische Experten bewerten das Verhalten anderer Akteure sehr unterschiedlich, vor allem im Hinblick auf die Philippinnen und Vietnam. So werden die Philippinen verdächtigt, sich sehr stark an die USA anzulehnen und zu so etwas wie einem Befehlsempfänger der USA geworden zu sein, der in deren Auftrag lokale Konflikte schürt, um den Aufstieg Chinas einzuschränken. Vietnam hingegen wird immer noch in erster Linie als Partner gesehen. Mit der kommunistischen Schwesterpartei in Vietnam gibt es einen engen Austausch und somit einen Kanal, um Konflikte zu managen, auch wenn dieser nicht immer effektiv genutzt wurde. Wegen der Ähnlichkeit der Systeme beider Länder betont man geteilte Interessen und hofft, dass sich Hanoi nicht einer antichinesischen Einhegungskoalition unter amerikanischer Führung anschließen würde. Die vietnamesische Reaktion auf den Bohrinselkonflikt 2014 hat vielen Experten die Gefahr einer Konfrontation aber sehr deutlich gemacht, was intern wohl auch der politischen Führung übermittelt wurde. Ob diese Bedenken dort auch ernst genommen werden, steht leider wieder auf einem anderen Blatt.

Welche Perspektive vertreten westliche Staaten?

Die Perspektive des Westens folgt eher der Linie der kleineren Staaten in der Region, was rein psychologisch naheliegend ist. Durch die vielen parallelen Konflikte Chinas mit seinen Nachbarstaaten verfestigt sich zusehends ein Narrativ, das das Land als aggressiv und revisionistisch erscheinen lässt. Speziell in den USA reagiert man sehr sensibel auf alles, was als Anzeichen gedeutet werden könnte, dass China im Begriff ist, eine regionale Hegemonie durchzusetzen und vielleicht in Zukunft auch die eigene globale Führungsrolle herauszufordern. In Europa stehen momentan natürlich ganz andere Themen im Vordergrund, und man ist wenig daran interessiert, in diese Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden.

Welche weiteren Entwicklungen werden wir im Südchinesischen Meer sehen?

China war im letzten Jahr sehr aktiv, die Sandbänke und Riffs mit Flotten von Baggerschiffen zu Inseln auszubauen, und dort logistische Infrastruktur wie Landestreifen und Dockanlagen zu errichten. Dabei wurde immer der zivile Nutzen betont, was kürzlich auch durch eine PR-Maßnahme untermauert wurde, bei der Passagierjets auf einer Insel landeten und diese von posierenden Stewardessen als "Chinas südlichster Flughafen“ vermarktet wurde. Es wäre sicher kein ungeschickter Schachzug, durch eine Ausweitung ziviler Nutzung die eigene de-facto-Kontrolle über die Region zu untermauern, ohne die Befürchtungen über eine stärkere Militarisierung zu bestärken. Zum Massentourismus ist der Platz zu knapp, aber schon mit der angekündigten Bereitstellung von Seesicherheits- und Rettungsdiensten würde Chinas Präsenz als Teil der Normalität verankert. Langfristig herrscht auch zumindest in den Äußerungen chinesischer Experten der Optimismus vor, dass Chinas Machtvorsprung irgendwann einen Punkt erreichen wird, an dem die Rivalen ihren Widerstand einstellen und China das Feld überlassen. Daraus erklärt sich auch die Strategie, langsam, aber stetig den Druck zu erhöhen und parallel auch immer auf die materiellen Vorzüge einer Kooperation mit Peking zu verweisen. Positiv gesehen macht dieser Ansatz zumindest kurzfristig eine militärische Eskalation unwahrscheinlich. Ich bezweifle aber stark, dass sich diese Erwartungen angesichts des Hochkochens nationalistischer Gefühle auch in den südostasiatischen Staaten erfüllen werden.

Vielen Dank für das Gespräch

Der Aufsatz "Punish the Philippines, forgive Vietnam? The South China Sea disputes in the eyes of Chinese experts" erscheint im April 2016 im Sammelband "Power Politics in Asia’s Contested Waters. Territorial Disputes in the South China Sea". Er kann hier bestellt werden.

Experte

Pascal Abb

Pascal Abb

Former Doctoral Researcher


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