Kurz notiert

"Der IS ist auf dem Rückzug"

Der Islamische Staat führt Anschläge in Europa durch, weil er in der Defensive ist. Die Attacken sollen die eigenen Kämpfer aufrütteln, so GIGA-Nahostexperte Stephan Rosiny im Interview mit der NZZ am Sonntag.

Ein Mitglied des Islamischen Staates im Irak und in der Levante (ISIL) schwenkt eine ISIL-Flagge in Raqqa.
© Reuters / Stringer
Ein Mitglied des Islamischen Staates im Irak und in der Levante (ISIL) schwenkt eine ISIL-Flagge in Raqqa.
© Reuters / Stringer

NZZ am Sonntag, Francesco Benini: Welches Ziel verfolgen die Terroristen des Islamischen Staates (IS) mit Anschlägen wie in Brüssel?

Stephan Rosiny: Die Kaida versuchte, bei Terrorattacken symbolische Ziele wie die Zwillingstürme zu treffen. Der Islamische Staat will einzig Massaker anrichten, so viele «Ungläubige» wie möglich töten. Die offizielle Begründung des IS lautet, dass das Territorium der Muslime von «Kreuzrittern» angegriffen werde. Der IS sieht sich als Vertreter aller Muslime und attackiert die westlichen Staaten, weil sie ihn zu zerstören versuchen. Soweit die Verlautbarung.

Welches sind die inoffiziellen Motive?

Der IS verliert in Syrien und Irak zunehmend an Territorium, er ist in der Defensive. Nach eigenem Selbstverständnis ist er aber ein permanent wachsendes islamisches Reich. Die Angriffe suggerieren, dass der IS weiter expandiert. Es geht um eine Kompensation für die Niederlagen. Die eigenen Kämpfer sollen motiviert und mobilisiert werden. Es gibt deutliche Hinweise, dass unter ihnen der Glaube an den IS schwindet. Sie merken, dass das Versprechen, wonach das islamische Reich immer siegreich sei, nicht eingelöst wird. Die Anschläge sollen sie aufrütteln. Hinzu kommt ein weiteres Motiv.

Nämlich?

Im Westen soll die Angst vor den Muslimen geschürt und das Feindbild Islam gestärkt werden. Für den IS war es ein Desaster, dass Hunderttausende Muslime vor ihm nach Europa geflohen sind, in das «Territorium der Ungläubigen». Ein verschärfter Kulturkonflikt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Europa führt zu einer Diskriminierung der Muslime – was diese dazu bringen soll, in den Islamischen Staat zurückzukehren. Das ist ein Ziel der Terrorattacken. ...

Das Interview ist am 27.03.2016 in der NZZ am Sonntag erschienen.

Publikationen zum Thema:

Rustum Mahmoud / Stephan Rosiny Opposition Visions for Preserving Syria’s Ethnic-Sectarian Mosaic GIGA Working Paper, No. 279, October 2015

Stephan Rosiny Vergeltung ist noch keine Strategie gegen den IS! Inamo, Journal On the Middle East, 21, 2015, 84, 2

Stephan Rosiny Aufstieg und Fall des IS? Politikum, 1, 2015, 3, 16-25

Stephan Rosiny The Rise and Demise of the IS Caliphate Middle East Policy, XXII, 2015, 2, 94-107

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