GIGA Focus Nahost

Repression durch Anti-Terror-Gesetze in der arabischen Welt

Nummer 4 | 2019 | ISSN: 1862-3611


  • Demonstranten in Ägypten.
    © Reuters / Hasan Shaaban
    Demonstranten in Ägypten.
    © Reuters / Hasan Shaaban

    Weltweit ist die Anzahl von Anti-Terror-Gesetzen seit einigen Jahren stark gestiegen. Insbesondere arabische Staaten nutzen die von global ­agierenden Terrorgruppen ausgehende Gefahr als Vorwand, um Andersdenkende als Terroristen zu verunglimpfen, um sie mit Billigung externer Akteure zu unterdrücken und die Arbeit der friedlichen Opposition einzuschränken.

    • Nach den Anschlägen des 11. September 2001 kam es zu einer rasanten Verbreitung von Anti-Terror-Gesetzen weltweit. Ein Überblick über die ­arabischen Staaten zeigt allerdings, dass in dieser Weltregion eher lokale Anschläge der Ausgangspunkt von verschärften Anti-Terror-Gesetzen waren.

    • Nach einer ersten Phase setzte mit dem Arabischen Frühling nach 2011 eine zweite Welle der Anti-Terror-Gesetzgebung ein. Besonders Regierungen, die durch massive Proteste unter Druck geraten waren, griffen zu diesem Mittel. Sie stellten Oppositionsgruppen unter Terrorverdacht, um ihre ­Unterdrückung zu rechtfertigen.

    • Die meisten dieser neuen Gesetze sind durch eine umfassende und zugleich sehr vage Definition von Terrorismus gekennzeichnet, die auch gewaltlose Formen des Protestes umfasst. Drakonische Strafen für als terroristisch ­bezeichnete Aktivitäten schaffen in der gesamten arabischen Welt ein Klima der Furcht und schränken die Meinungsfreiheit ein.

    • Bei der Terrorbekämpfung innerhalb der arabischen Welt lässt sich eine regionale Zusammenarbeit erkennen. Regierungen verfolgen ihre eigenen Bürger strafrechtlich aufgrund von deren Kritik an der Politik anderer Staaten.

    Fazit

    Europäische Demokratien sollten ihre Politik der Terrorbekämpfung durch Zusammenarbeit mit arabischen Autokratien kritisch hinterfragen und diese auf diejenigen Partner beschränken, die Anti-Terror-Gesetze nicht gegen friedliche Oppositionelle anwenden. Da exzessive Regelungen inzwischen flächendeckend praktiziert werden, sollte sich die Bundesrepublik Deutschland nicht im Namen des Kampfes gegen den Terror zum Handlanger von Autokraten machen lassen.

    Überall Terrorismus?

    Mitte April 2019 wurden in Saudi-Arabien an einem Tag 37 Menschen hingerichtet. Alle waren zuvor des „Terrorismus“ für schuldig befunden worden. Einer wurde nach seiner öffentlichen Enthauptung am Osterdienstag gekreuzigt und öffentlich zur Schau gestellt. Die meisten der hingerichteten Staatsbürger gehörten der schiitischen Minderheit an und alle hatten unter Folter erzwungene falsche Geständnisse abgelegt. Bei vierzehn der Verurteilten bestand das als „Terror“ bezeichnete Vergehen in der Teilnahme an Protesten gegen das saudische Regime (CNN, 26. April 2019).

    Diese jüngste Massenhinrichtung ist ein Extrembeispiel für exzessive „Terrorbekämpfung“ und verdeutlicht die staatliche Strategie, oppositionelle soziale und politische Akteure als Terroristen darzustellen und somit deren Unterdrückung als notwendiges Mittel zu begründen. Der Terrorvorwurf ist eine der wenigen Rechtfertigungen für staatliche Gewalt und Unterdrückung, die weltweit akzeptiert ist (Edel und Josua 2018). Autoritäre Regierungen haben daher ein Interesse daran, Anti-Terror-Gesetze mit möglichst breiten und vage formulierten Definitionen einzuführen, um ihre Opposition verunglimpfen und bekämpfen zu können. ­Diese innenpolitische Motivation wird durch den Druck des Westens unterstützt, entsprechende Anti-Terror-Regelungen zu etablieren. Haben Demokratien nach dem 11. September 2001 Freiheitsrechte ihrer Bürger eingeschränkt, so nutzen Autokratien den Terrorismusvorwurf gegen Oppositionelle nicht zuletzt, um im internationalen Kontext kritische Nachfragen von Seiten demokratischer Partner zum Umgang mit der Opposition abzuwehren.

    Nach 9/11 erfolgte weltweit eine erste Welle der Einführung von Anti-Terror-Gesetzgebung (Whitaker 2007). Dabei wirkten in autoritären Staaten zwei Motivationsfaktoren zusammen: Entsprechende Regulierungen dienen auf innerstaatlicher Ebene als ein Mittel zum Machterhalt und werden auf globaler Ebene als notwendige Maßnahme zur Eindämmung von Terror erachtet. Die arabischen autoritären Staaten benutzen diese Strategie besonders intensiv. In den letzten Jahren kam es in einer zweiten Welle nicht nur zur Verabschiedung entsprechender ­Gesetze, sondern zudem zu einer Zunahme der als Terrorismus definierten Tatbestände und der damit verbundenen Strafen. Anti-Terror-Gesetze sind in der arabischen Welt zu einer Allzweckwaffe geworden, um die Repression unliebsamer politischer und sozialer Akteure sowohl rhetorisch als auch legal zu rechtfertigen.

    Historische Erfahrungen arabischer Staaten mit Terror

    Die meisten arabischen Staaten verfügen über langjährige Erfahrung mit Terrorgruppen unterschiedlicher Couleur. Während heute eher dschihadistische, d.h. sich über islamistische Ideologie legitimierende, Gruppierungen mit Terrorismus innerhalb der Region in Verbindung gebracht werden, waren dort früher säkulare, insbesondere palästinensische und kurdische, Terroristen aktiv, die sich vor allem antikolonialistisch und als Freiheitskämpfer gerechtfertigt haben. Dies verweist auf das grundlegende Problem bei der Terrorismusbekämpfung: Es gibt keine international verbindliche Definition, die alle Staaten akzeptieren. Das berühmte Diktum „one man’s terrorist is another man’s freedom fighter“ verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven darauf, unter welchen Umständen die Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele als legitim akzeptiert wird. Nichtsdestotrotz lassen sich aus international anerkannten Regelungen wie der Internationalen ­Konvention zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung aus dem Jahr 1999 Elemente ableiten, die konstitutiv für den Terrorbegriff sind. So beinhaltet Terror physische Gewalt gegen Zivilisten, die darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder politische Akteure zu einem erwünschten Handeln zu zwingen.

    Aufgrund ihrer historischen Erfahrungen verfügen manche arabische Staaten wie Ägypten, Syrien und der Libanon seit längerer Zeit über strafrechtliche Regelungen gegen Terrorismus (Welchman 2012). Hierbei wurden die Definitionen seit langer Zeit kritisiert, da sie sehr umfangreich sind und einen weiten Interpretationsspielraum für Strafverfolgung ermöglichen. So waren im ägyptischen Strafrecht von 1992 die Störung der öffentlichen Ordnung und die Besetzung von öffentlichem oder privatem Raum Terrortatbestände; auch die Androhung von Gewalt oder „Einschüchterung“ durch einen solcher Vergehen Angeklagten war bereits strafbar.

    Dem ägyptischen Beispiel folgend kodifizierte die Arabische Liga diese schwammigen Formulierungen auf regionaler Ebene im Jahr 1998 in der „Arab Convention for the Suppression of Terrorism“. Dieser im Jahr 1999 in Kraft getretenen Konvention sind inzwischen alle Mitgliedstaaten der Arabischen Liga beigetreten. ­Bereits dieses Abkommen wurde von Menschenrechtsorganisationen und Forschern für seinen breit angelegten Terrorbegriff kritisiert (Amnesty International UK 2002). Trotz dieser regionalen Vereinbarung war die Umsetzung in länderspezifische Gesetze unterschiedlich.

    Nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington verstärkte sich der Druck zur Implementierung von Anti-Terror-Gesetzen auch auf globaler Ebene. Mit der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 1373 der Vereinten Nationen wurden alle Staaten aufgefordert, Gesetzgebungen zu erlassen bzw. existierende rechtliche Rahmenbedingungen anzupassen. Als Folge setzten ­globale Diffusionsprozesse ein, die bestehende Gesetzgebung zu verschärfen oder neue, ­spezielle Anti-Terror-Gesetzgebung einzuführen (Lehrke und Schomaker 2014).

    Die erste Verbreitungswelle arabischer Anti-Terror-Gesetze zwischen 2001-2007

    Betrachtet man die Reaktionen auf diesen Druck über alle arabischen Staaten hinweg, so ist eine unmittelbare Reaktion zunächst nur in Jordanien erkennbar. Noch im Oktober 2001, d.h. einen Monat nach den Anschlägen in den USA, erließ König Abdallah II. ein königliches Dekret als „temporäres Gesetz“ zur Terrorbekämpfung, ohne dies jedoch mit dem ohnehin machtlosen jordanischen Parlament abzustimmen. Auf diese Weise signalisierte der erst zwei Jahre lang herrschende junge ­König seine Bereitschaft, sich an internationalen Entwicklungen oder vielmehr an den Wünschen der US-Regierung zu orientieren. Kurze Zeit später begannen die jordanischen Sicherheitsorgane, ähnlich wie die der meisten Staaten in der Region, sich an den illegalen Antiterrormaßnahmen Washingtons zu beteiligen. Dazu zählt z.B. das „Extraordinary Rendition Program“, im Rahmen dessen durch Folter von Terrorverdächtigen Informationen und unwahre Geständnisse erpresst wurden.

    Obwohl sich in der Zwischenzeit einige arabische Parlamente mit Antiterrorgesetzgebung befasst hatten, erließen sie erst als Reaktion auf größere Anschläge im eigenen Land neue Gesetze. In den zentralisierten Autokratien verfügen Parlamente zwar über wenig Autonomie, erfüllen aber formal die Aufgabe der Gesetzgebung. Neue Gesetze verabschiedeten diese in Tunesien nach dem Anschlag auf eine Synagoge auf Djerba am 11. April 2002 und in Marokko nach dem Anschlag in Casablanca am 16. Mai 2003. In Katar erlag der frühere tschetschenische Präsident Jandarbijew am 13. Februar 2004 einem Attentat, ausgeführt vermutlich von russischen Geheimdienstmitarbeitern, woraufhin die entsprechende Gesetzgebung initiiert wurde (New York Times, 1. Juli 2004). Die Anschläge auf Hotels in Amman am 9. November 2005 führten dazu, dass das jordanische Parlament tätig wurde und ein permanentes Antiterrorgesetz verabschiedete. Im Irak erließ die US-amerikanische Besatzungsmacht im Jahr 2005 im Kontext der Invasion und zunehmender Anschläge, die in den Bürgerkrieg mündeten, ein Anti-Terror-Gesetz.

    Neben diesen durch innerstaatliche Anschläge motivierten Gesetzesinitiativen gab es auch regionale Entwicklungen, die zu Gesetzgebungsprozessen beitrugen. Die Staaten des Golfkooperationsrates unterzeichneten im Mai 2004 ein Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, das für die Mitgliedsstaaten einen Anlass bot, entsprechende Gesetze einzuführen. Einige der Golfstaaten traten auch der Anti-Terror-Konvention der Arabischen Liga bei und erließen daraufhin eigene nationale Gesetze. Beispiele dafür sind die Vereinigten Arabischen Emiraten (2004), Bahrain (2006) und Oman (2007).

    In dieser ersten Verbreitungswelle nach den Anschlägen des 11. September 2001 lässt sich innerhalb der arabischen Welt eine Mischung aus innerstaatlichen und globalen bzw. regionalen Anlässen in Bezug auf die Einführung und Novellierung von Anti-Terror-Gesetzgebungen erkennen. Einerseits waren Staaten bestrebt, internationale und regionale Normen zu befolgen; andererseits wurden nach lokalen Terroranschlägen entsprechende Gesetze verschärft. Grafik 1 verdeutlicht die zeitliche Abfolge während dieser Phase.

    Zeitleiste von Anti-Terror-Gesetzen in arabischen Staaten nach 2001
    © Maria Josua
    Abb. 1 Anti-Terror-Gesetze in arabischen Staaten nach 2001 (* kennzeichnet Reaktion auf Terroranschläge)
    Zeitleiste von Anti-Terror-Gesetzen in arabischen Staaten nach 2001
    © Maria Josua
    Abb. 1 Anti-Terror-Gesetze in arabischen Staaten nach 2001 (* kennzeichnet Reaktion auf Terroranschläge)

    Die zweite Verbreitungswelle arabischer Anti-Terror-Gesetze zwischen 2012-2015

    Nach dem „Arabischen Frühling“ kam es zwischen 2012 und 2015 zu einer zweiten Welle der Einführung und Modifikation von Anti-Terror-Gesetzen in der arabischen Welt. Obwohl mit den ab Dezember 2010 innerhalb der ganzen Region einsetzenden Protesten als mittelfristige Folge eine verstärkte Aktivität terroristischer Gruppen verbunden war, begann die Verschärfung der Anti-Terror-Gesetzgebung lange vor dem Aufstieg des IS-Dschihadismus im Irak und in Syrien. Es war ­primär die Konterrevolution der autoritären Machthaber gegen die Mobilisierung der Bevölkerung, die in diesem Zeitraum eine Verschärfung motivierte. Neue Gesetze ­hatten das primäre Ziel, Proteste einzudämmen und die Bekämpfung von Aufständen juristisch abzusichern.

    Den Beginn dieser Welle der Anti-Terror-Gesetzgebung markierten zwei ­Staaten mit bis heute andauernden Gewaltkonflikten – Syrien im Jahr 2012 und Bahrain im Jahr 2013. Das syrische Anti-Terror-Gesetz entstand in einem Kontext der Gewalteskalation, in dem die syrische Regierung versuchte, die Bevölkerung vor eine „Alternative“ zwischen dem Assad-Regime einerseits und Terror und Chaos andererseits zu stellen und dabei der kompletten Opposition vorwarf, terroristische Aktivitäten zu befördern (Scartozzi 2015). Zum damaligen Zeitpunkt stellten friedliche Demonstranten und lokale Aktivisten neben den Überläufern der Freien Syrischen Armee den Großteil der Opposition dar. Gewaltbereite Islamisten hingegen spielten nur eine marginale Rolle, bevor sie massiv von ausländischen ­Finanziers gefördert wurden. Die syrische Regierung versuchte in diesem Zusammenhang auch durch fabrizierte Anschläge, eine Eskalation herbeizuführen, um ihr Narrativ zu untermauern. So wurde das Anti-Terror-Gesetz in Folge eines großen Anschlags auf den Militärgeheimdienst in Damaskus verabschiedet, wobei die al-Nusra-Front, eine Al-Qaida nahestehende dschihadistische Gruppe, das vermeintliche Bekennervideo als Fälschung zurückwies (BBC, 15. Mai 2012).

    Ägypten und Saudi-Arabien versuchten, sich innerhalb dieser zweiten Welle über eine engagierte Terrorbekämpfung zu profilieren und eine regionale Vorreiterrolle einzunehmen. In beiden Fällen war das Streben nach externer Anerkennung besonders von Seiten der USA offensichtlich. Dies kulminierte in der Eröffnung des „Global Center for Combating Extremism“ in Riyad im Jahr 2017, als der saudische König Salman, der ägyptische Präsident al-Sisi und US-Präsident Trump medienwirksam einen leuchtenden Globus berührten. Bereits im Frühjahr 2014 initiierte Saudi-Arabien mehrere Gesetzesinitiativen, um diverse zusätzliche Aktivitäten als „Terrorismus“ einstufen zu können. Im neuen Anti-Terror-Gesetz führte die Ausweitung der Definition von Terror so weit, dass das saudische Innenministerium mittlerweile auch „Teilnahme an Konferenzen“ sowie „Atheismus“ als Terrorismus deklariert. Es blieb jedoch nicht bei diesen bereits sehr weitgehenden Regelungen. Nach dem Aufstieg des derzeitigen Thronfolgers Muhammad bin Salman erfolgte im Jahr 2017 die jüngste Erweiterung der Definition. Seitdem wird sogar jegliche negative Darstellung von König und Kronprinz als Terrorismus definiert.

    Das ägyptische Militärregime unter al-Sisi folgte dem saudischen Beispiel, sich über den Anti-Terror-Kampf zu legitimieren und versuchte, im selben Atemzug die islamische Opposition auszuschalten. Nach dem Militärputsch gegen Präsident Mursi im Juli 2013 wurde die Muslimbruderschaft als Terrorgruppe gebrandmarkt und die ägyptische Justiz verhängte in Massenprozessen Todesurteile gegen zahlreiche ihrer Mitglieder. Auf regionaler Ebene drängte die ägyptische Regierung darauf, die Einstufung der Bruderschaft als Terrororganisation auch in anderen Staaten durchzusetzen (Darwich 2017). Nach dem verschärften Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 2014 wurde im Juni 2015 ein Attentat auf den ägyptischen Generalstaatsanwalt verübt. Dies lieferte dem neuen Militärregime den gegebenen Anlass, die Daumenschrauben gegen die Muslimbruderschaft weiter anzuziehen. Gefährdungen der „nationalen Einheit“ oder des „sozialen Friedens“ gelten seitdem als Terror. Die Anwendung von Anti-Terror-Gesetzgebung ging dabei Hand in Hand mit extralegaler Repression wie dem Verschwindenlassen, die flankiert war von ­extrem feindseliger Rhetorik.

    Drei landläufig als „moderat“ bezeichnete arabische Staaten nutzten innerhalb weniger Monate die von Saudi-Arabien und Ägypten initiierten Maßnahmen, um ähnliche Anpassungen in ihren Gesetzgebungen zu veranlassen. Jordanien (2014), die Vereinigten Arabischen Emirate (2014) und Marokko (2015) verschärften ihre bereits nach dem Jahr 2001 eingeführten Gesetze insbesondere dahingehend, dass sie zur Bekämpfung von „Terrorpropaganda“ seitdem die Presse- und Meinungsfreiheit stärker einschränken. Zu den neu hinzugekommenen Terrortatbeständen zählen in Jordanien „Unordnung stiften“ und in den VAE „opposing the country“.

    Auch in der zweiten Verbreitungswelle waren Terroranschläge vereinzelt ein konkreter Anlass für eine weitere Verschärfung von Anti-Terror-Gesetzen. So verabschiedete das tunesische Parlament im Sommer 2015 ein bereits seit mehr als zwei Jahren debattiertes Gesetz nach einem Anschlag auf Touristen im Nationalmuseum im März 2015 sowie auf ein Hotel und den Strand von Sousse drei Monate später. Ebenfalls im Juni 2015 attackierte ein saudischer Staatsbürger eine schiitische Moschee in Kuwait. Daraufhin verabschiedete das kuwaitische Parlament im Juli ein neues Gesetz.

    Einen Sonderfall stellt Katar dar. Als Grund für das regionale Zerwürfnis zwischen Saudi-Arabien, den VAE, Bahrain und Ägypten einerseits und Katar andererseits im Sommer 2017 galt offiziell Katars Unterstützung für islamistische Terrorgruppen in der Region – von anderen Staaten gleichfalls praktiziert –, aber ebenso, dass die kleine Golfinsel exilierten Islamisten, v.a. Muslimbrüdern, sicheren Aufenthalt gewährt. Als Reaktion auf den massiven Druck durch Blockade und Ultimatum verabschiedete Katar ein verändertes Terrorgesetz, was vornehmlich als symbolischer Akt anzusehen ist. Dies war der einzige Fall, bei dem Gesetzgebung auf direkten äußeren Druck hin erfolgte.

    In der zweiten Verbreitungswelle waren folglich Terroranschläge kaum und erst gegen Ende verantwortlich für staatliche Reaktionen. Vielmehr war die ­regionale Dynamik von nationalen Protestbewegungen und dem Wiedererstarken autoritärer Herrschaft maßgeblich für die Einführung und Verschärfung von Anti-Terror-Gesetzen verantwortlich.

    Zeitleiste von Anti-Terror-Gesetzen in arabischen Staaten nach dem Jahr 2011.
    © Maria Josua
    Abb. 2 Anti-Terror-Gesetze in arabischen Staaten nach dem Jahr 2011 (* kennzeichnet Reaktion auf Terroranschläge)
    Zeitleiste von Anti-Terror-Gesetzen in arabischen Staaten nach dem Jahr 2011.
    © Maria Josua
    Abb. 2 Anti-Terror-Gesetze in arabischen Staaten nach dem Jahr 2011 (* kennzeichnet Reaktion auf Terroranschläge)

    Innerstaatliche und regionale Verschärfungstendenzen von Anti-Terror-Gesetzgebung in der arabischen Welt

    Seit dem Jahr 2001 lässt sich über zwei Wellen hinweg eine Einführung und Anpassung der Anti-Terror-Gesetzgebung in der arabischen Welt beobachten. Eine zentrale qualitative Veränderung dieser Diffusionsprozesse ist die drastische Verschärfung von Strafen. Inzwischen ist eine Reihe von unverhältnismäßigen Bestrafungen, wie z.B. der Entzug der Staatsbürgerschaft (in Bahrain seit dem Jahr 2013 als Strafe für Teilnahme an Protesten; in Kuwait seit dem Jahr 2014) fester Bestandteil dieser neuen Gesetze. In Ägypten ist seit dem Jahr 2015 nicht nur für gewaltsame Terrorhandlungen die Todesstrafe als obligatorisch vorgesehen, sondern auch für Propaganda für oder die Unterstützung von Terror.

    In allen Fällen wurde der definitorische Geltungsbereich von Terrorismus systematisch ausgeweitet (Wainscott 2017). In den Gesetzestexten dominieren ­schwammige Formulierungen, die es möglich machen, den Terrorbegriff flexibel und willkürlich anzuwenden. Selbst Tunesien, der einzige Fall einer demokratischen Transition nach dem Arabischen Frühling, stellt diesbezüglich keine ­Ausnahme dar. Hier gilt bereits die Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums als ­Terrorismus. Auffällig ist, dass viele Gesetzestexte definieren, dass es heute für eine Terroranklage nicht erforderlich ist, Gewalt auszuüben oder ein Verbrechen zu begehen. Vielmehr wird die Existenz einer abstrakten „Gefahr“ wie z.B. die Gefährdung der nationalen Einheit oder die Störung des öffentlichen Friedens als hinreichend für einen Terrorakt angesehen. Dabei weichen insbesondere die aktuellen Formulierungen immer stärker von international anerkannten Terrorismusdefinitionen ab, die darunter Gewaltausübung oder -androhung gegenüber Zivilisten verstehen. Die extreme Bandbreite von Tatbeständen, die inzwischen in den meisten Gesetzestexten auftaucht, umfasst inzwischen auch friedliche Kritik an politischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen. So wurden beispielsweise vor dem im Jahr 2013 in Syrien etablierten Antiterrorismus-Gerichtshof innerhalb des folgenden Jahres 50.000 Personen, hauptsächlich friedliche Aktivisten, angeklagt und verurteilt.

    Zudem erstrecken sich einige der Gesetze auch darauf, die unabhängige Berichterstattung über Terrorvorkommnisse oder -prozesse unter Strafe zu stellen, um damit die allgemeine Presse- und Informationsfreiheit einzuschränken. In Ägypten drohen hohe Haftstrafen für jegliche Medienberichterstattung, die im Widerspruch zu offiziellen Verlautbarungen steht und somit das staatliche Narrativ unterläuft. Nachrichtensperren im Zusammenhang mit Einsätzen der Sicherheitskräfte gegen Terrorzellen sind auch in Jordanien an der Tagesordnung. Sie wurden jedoch auch bei Berichten über die Festnahme des Schriftstellers Nahed Hattar verhängt, der eine IS-kritische Karikatur auf Facebook geteilt hatte (The Jordan Times, 14. August 2016). Als er zu seiner Gerichtsverhandlung wegen Blasphemie erschien, wurde er von einem Salafisten erschossen, woraufhin abermals eine Nachrichtensperre erlassen wurde (Gulf News, 26. September 2016).

    Neben diesen innerstaatlich wirksamen Verschärfungen von Gesetzen kommt es mittlerweile auch zu einer verstärkten regionalen Kooperation bei der „Terror“-bekämpfung zwischen den arabischen Staaten. So ist es inzwischen üblich, dass Staatsbürger, die Kritik an anderen Staaten üben, unter Terrorverdacht gestellt und angeklagt werden. Dieses sogenannte „cross-policing“ konnte beispielsweise in Jordanien beobachtet werden, wo ein ranghoher Funktionär der Muslimbrüder zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nachdem er die Entscheidung der Vereinigten Arabischen Emirate kritisiert hatte, die dortige Muslimbruderschaft als Terrorgruppe einzustufen (Deutsche Welle, 15. Februar 2015). Dies stellt eine neue, regionale Komponente von Repression dar. Da die meisten arabischen ­Staaten mittlerweile über ähnliche repressive Regelungen verfügen und sich gegenseitig bei der Strafverfolgung unterstützen, wird ein Exil von Oppositionellen in Nachbarländern immer schwieriger. Für viele Dissidenten bleibt deswegen nur die Flucht aus der Region.

    Eine sehr problematische Entwicklung ist die Vorbildfunktion der repressiven Anti-Terror-Gesetze in Autokratien für die demokratischeren Staaten in der Region Tunesien und Israel. Galt Tunesien nach dem Arabischen Frühling als Vorzeigestaat einer geglückten Transition, haben sich inzwischen reaktionäre Kräfte etabliert, die durch einen mit dem Anti-Terror-Gesetz legitimierten permanenten Ausnahmezustand demokratische Errungenschaften zurückbauen könnten (Mersch 2015). In Israel können nun Solidaritätsbekundungen und humanitäre Unterstützung für die Palästinenser in den besetzten Gebieten als Widerstand gegen die ­Besatzung und damit als Terrortatbestände strafrechtlich verfolgt werden (Al-Jazeera English, 19. Juni 2016). Im Windschatten der Terrorgesetzgebung in Autokratien finden somit zunehmend autoritäre Praktiken in Demokratien Eingang.

    So unverhältnismäßig und exzessiv viele der Maßnahmen auch sind, haben doch viele der arabischen Autokratien lediglich Praktiken in Gesetzesform gegossen, die sie ansonsten ohne legale Grundlage willkürlich ausüben würden. Regelungen, die gewöhnlich nur im Ausnahmezustand Anwendung finden, sowie exzessive und willkürliche Maßnahmen, können nun als reguläres legales Instrument eingesetzt werden und wirken somit wie ein legitimes Mittel zur Bekämpfung einer vorgeblich existenziellen Bedrohung. In vielen Fällen bedeutet die neue Gesetzeslage zunächst eine Bündelung von Maßnahmen, die ohnehin bereits im Strafrecht vorgesehen waren. Die spezielle Anti-Terror-Gesetzgebung ist dann vor allem als Signal zu verstehen, das nach außen die Tatkraft des Staates und nach innen Abschreckung kommuniziert.

    Trotz der bestehenden, verschärften Gesetze wird Terrorbekämpfung weiterhin auch ohne legale Grundlage praktiziert. Dies zeigt der tödliche Angriff auf eine mexikanische Reisegruppe in der ägyptischen Wüste im September 2015. Dabei wurden von einem Apache-Kampfhubschrauber aus zwölf Personen erschossen, die das Militär für Terroristen statt Touristen gehalten hatte (The Guardian, 17. September 2015). Wie viele Ägypter darüber hinaus als vorgebliche „Terrorverdächtige“ nicht einmal angeklagt, sondern direkt von den Sicherheitskräften getötet werden, ist nicht ­bekannt.

    Implikationen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik

    Für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik ergibt sich aufgrund dieser Entwicklungen ein Dilemma in der internationalen Zusammenarbeit mit arabischen Staaten. Angesichts transnational agierender Terrorgruppen sind arabische Staaten wichtige Partner, um notwendige Anti-Terror-Maßnahmen zur effektiven Prävention von Gewalt zu ergreifen. Andererseits setzen nahöstliche ­Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen und Fähigkeiten zur willkürlichen, exzessiven und missbräuchlichen Repression gegen Oppositionelle ein. Eine Zusammenarbeit mit ihnen ist daher genau auszutarieren. Dies ist schon allein vor dem Hintergrund der ausufernden Maßnahmen zur Terrorbekämpfung innerhalb Europas eine echte Herausforderung. Ein essentieller Ansatzpunkt wäre, in der internationalen und bilateralen Sicherheitskooperation zwischen verschiedenen Arten von Anti-Terror-Maßnahmen zu differenzieren: Einerseits gibt es internationale Standards in Bezug auf technische Regulierungen, die z.B. die Finanzierung von Terror verhindern sollen. Auf der anderen Seite gilt es aus europäischer und deutscher Sicht, extensive und exzessive Definitionen von Terrorismus anzuprangern. Dabei sollte neben der legalen Grundlage selbst auch Augenmerk auf die tatsächliche Anwendung der entsprechenden Gesetze gelegt werden. Hierbei ist besonders wichtig zu analysieren, gegenüber welchen Zielgruppen sie eingesetzt werden.

    Um bestehende Bedrohungen effektiv abwehren zu können, ohne ein willfähriges Instrument autoritärer Regierungen zu werden (SZ, 19. Januar 2015), sollten deutsche und europäische Behörden Terrorlisten und Auslieferungsgesuche von Interpol noch kritischer und unabhängig überprüfen und bewerten. ­Besonders regimekritische türkische Journalisten wurden in den letzten Jahren mit fadenscheinigen Terrorvorwürfen zur Fahndung bei Interpol ausgeschrieben und in ­europäischen Staaten festgenommen (FAZ, 10. August 2017). Außenpolitiker ­sollten in bi- und multilateralen Konsultationen die auf Basis der neuen Terrorgesetze erfolgten Menschenrechtsverletzungen stets explizit thematisieren, und sowohl die deutsche als auch die europäische Politik sollte auf die ausnahmslose Einhaltung völkerrechtlicher Standards drängen, so z.B. innerhalb des Global Counterterrorism Forum.

    Noch wirkungsvoller wäre es, die Zusammenarbeit mit autoritären Staaten in bestimmten Bereichen einzuschränken. So sollte beispielsweise eine Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften, insbesondere im Bereich Ausbildung und Training, zukünftig nur in äußerst begrenztem Rahmen stattfinden. Der Technologietransfer in Bezug auf Überwachungssoftware muss viel stärker reguliert und der Verkauf an autoritäre Staaten verboten werden, da diese immer zur Überwachung der eigenen Bevölkerung eingesetzt wird. Es liegt nahe, bei missbräuchlichen Anti-Terror-Maßnahmen auch die Genehmigung von Rüstungsexporten einzuschränken. Zwar ist laut den politischen Grundsätzen für Rüstungsexporte in Deutschland die Menschenrechtslage im jeweiligen Land zu berücksichtigen. Jedoch sind die Ausnahmegenehmigungen selbst in Bezug auf kriegsführende Parteien mittlerweile so zahlreich, dass hier nicht nur strengere Maßstäbe angelegt werden müssten, sondern eine ausnahmslose Umsetzung der bestehenden Prinzipien dringend erforderlich ist.

    Letztlich verlangt eine Kritik an unverhältnismäßigen Praktiken in anderen Weltregionen auch eine selbstkritische Reflexion über die Auswüchse des sogenannten „Kampfes gegen den Terror“ in westlichen Staaten. Der Entzug der Staatsbürgerschaft als Bestrafung von IS-Anhängern anstelle eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens, der in den Golfstaaten seinen Anfang nahm, ist nun auch in Deutschland und Schweden in der Diskussion und wird in Großbritannien bereits praktiziert. Die westlichen Demokratien sollten sich auf ihre verfassungsrechtlichen Werte besinnen und diese selbstbewusst nach außen vertreten, anstatt im Bestreben nach absoluter Sicherheit die innenpolitische Agenda autoritärer Herrscher zu unterstützen.

    Terror ging in einigen westlichen Staaten in den letzten Jahren nicht nur von islamistischen, sondern zunehmend von rechtsradikalen Kräften aus (The Atlantic, 28. Januar 2019). In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht jedoch weiterhin das Klischee von „arabischen Terroristen“ vor. Nicht zuletzt dieses mediale Resultat von achtzehn Jahren „Global War on Terror“ spielt den autoritären Regierungen in Nahost in die Hände, die unter dem Deckmantel der international geforderten Bekämpfung von Terror bürgerliche Freiheiten außer Kraft setzen.


    Fußnoten


      Literatur

      Lektorat GIGA Focus Nahost

      Petra Brandt

      Editorial Management


      Wie man diesen Artikel zitiert

      Maria Josua (2019), Repression durch Anti-Terror-Gesetze in der arabischen Welt, GIGA Focus Nahost, 4, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-63176-8


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