In Brief

Ein Land in Alarmbereitschaft

Indonesien ist nach dem Anschlag von Jakarta verunsichert. Doch ein langfristiger Erfolg des Islamismus ist hier unwahrscheinlich – die Terrorgruppen sind zu gespalten, schreibt Andreas Ufen in ZEIT Online.

Menschen halten Plakate mit der Aufschrift "Wir haben keine Angst" während einer Kundgebung am Ort des Schuss- und Bombenanschlags vom Donnerstag im Zentrum Jakartas.
© Reuters / Darren Whiteside
Menschen halten Plakate mit der Aufschrift "Wir haben keine Angst" während einer Kundgebung am Ort des Schuss- und Bombenanschlags vom Donnerstag im Zentrum Jakartas.
© Reuters / Darren Whiteside

Mit Sprengstoff und Waffen griffen fünf Terroristen ein Café und einen Polizeiposten an. Zwei Täter sprengten sich in die Luft, die anderen starben bei Schusswechseln mit der Polizei. Auch drei Passanten wurden getötet – der Anschlag vom 14. Januar in der indonesischen Millionenmetropole Jakarta hat schlagartig klar gemacht, wie gefährlich die Terrormiliz "Islamischer Staat" auch in Südostasien ist.

Zwar wusste man bereits vorher, dass es mehrere Hundert indonesische Kämpfer in Syrien und im Irak sowie in Indonesien Tausende IS-Sympathisanten gibt, aber erst mit diesem Attentat rückte der terroristische Islamismus in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Die letzten Aufsehen erregenden islamistischen Anschläge in Indonesien liegen einige Jahre zurück: Im April 2011 wurden bei einem Selbstmordattentat in einer überwiegend von Polizisten genutzten Moschee zahlreiche Menschen verletzt. Im Juli 2009 starben neun Menschen bei zwei Explosionen in US-amerikanischen Hotels in Jakarta. Eine Reihe von koordinierten Bombenanschlägen kostete im Oktober 2005 in Bali 20 Menschen das Leben. Im August 2003 war wiederum ein Luxushotel in Jakarta das Anschlagsziel mit damals zwölf Todesopfern.

Die bis heute fürchterlichsten Terroranschläge in der Geschichte Indonesiens waren aber jene vom Oktober 2002 auf zwei Diskotheken in Bali. 202 Menschen, zumeist Ausländer, starben damals. Die indonesische Regierung begann daraufhin, entschlossen – und grundsätzlich erfolgreich – gegen gewaltbereite Islamisten vorzugehen.

Seit dem Sturz des zunehmend despotischen Präsidenten Suharto im Mai 1998 hat der islamistische Terrorismus enormen Auftrieb erhalten – die neuen Freiräume kamen auch Radikalen zugute. Durch den Zusammenbruch des abgewirtschafteten autoritären Systems der "Neuen Ordnung" im Jahr 1998 und durch die katastrophale Finanzkrise ("Asienkrise") stand Indonesien am Rande der Auflösung. Zahlreiche Organisationen entstanden, die sich danach häufig gespalten, aufgelöst oder umbenannt und ihre Ziele und Strategien den neuen nationalen und globalen Bedingungen immer wieder angepasst haben.

Der Fundamentalismus hat seinen Nährboden in einem bornierten Islam gefunden, der seit spätestens den 1970er Jahren in Südostasien auf dem Vormarsch ist. Dieser Prozess hat sich seit 1998 sogar noch beschleunigt und wird zum Teil auch von den Machthabern unterstützt: Dafür sprechen höchst umstrittene Gesetze gegen Blasphemie und gegen sehr vage definierte Formen von Pornografie.

Islamisten schüchtern liberale Muslime ein

Auch zahllose Lokalverordnungen – etwa gegen Alkoholkonsum und bestimmte Kleidungsformen– sind von der Scharia inspiriert. In der Provinz Aceh wurden sogar rigide Strafen bis hin zu Steinigungen rechtlich ermöglicht, wenn auch noch nicht ausgeführt. Gegenwärtig schüchtern Dutzende mehr oder weniger legal operierende islamistische Gruppierungen religiöse Minderheiten (Schiiten, Christen, Mitglieder der Ahmadiyya-Sekte etc.) und liberale Muslime ein und treiben Politiker an, Gesetze und Verordnungen immer weiter zu verschärfen.

Der zunehmende Dogmatismus ist auch auf Einflüsse aus dem Nahen Osten, etwa aus Saudi-Arabien zurückzuführen. Mit Petrodollars sind über Jahrzehnte radikale Organisationen, Prediger und wahhabitische Bildungseinrichtungen gesponsert worden. Die wohl bedeutendste islamistische Partei des Landes, die Wohlfahrts- und Gerechtigkeitspartei (PKS), ist aber eher von Ideologien der ägyptischen Muslimbrüder geprägt. Auf radikale indonesische Muslime üben arabische Islamgelehrte eine besondere Faszination aus.

Die genauen Ziele des IS in Indonesien sind unklar, auch wenn etwa der australische Generalstaatsanwalt keinen Zweifel daran hat, dass die Miliz ein Kalifat in Indonesien aufbauen möchte. Wahrscheinlich wird der IS seine Aktivitäten in Südostasien verstärken. Schon im November letzten Jahres hatte er Anschläge in Indonesien angekündigt. Es deutet einiges darauf hin, dass die jetzigen Attentäter von einem in Syrien vermuteten Indonesier und IS-Milizionär, Bahrum Naim, inspiriert, wenn nicht instruiert und finanziert worden sind.

Selbstverständlich können ein paar Hundert Terroristen Angst und Schrecken verbreiten und ein ganzes Land mit Selbstmordattentaten in ständige Alarmbereitschaft versetzen. In Indonesien befürchtet man vor allem, dass die aus Syrien und dem Irak zurückkehrenden Islamisten in ihrer Heimat den erbarmungslosen Kampf fortführen. Diese Furcht ist begründet, da viele Afghanistan-Veteranen der ersten großen Terrororganisation Jemaah Islamiyah angehörten.

Allerdings ist die junge Demokratie mittlerweile gefestigt, der neue, unzweifelhaft prodemokratisch orientierte Präsident Joko Widodo genießt breiten Rückhalt in der Bevölkerung, und eine Balkanisierung, die nach 1998 noch möglich erschien, ist heute kaum noch denkbar. In den Molukken zum Beispiel forderte ein religiös definierter Bürgerkrieg (bei dem auch christliche Milizen zahlreiche Terrorakte begingen) etwa 10.000 Todesopfer; seit 2002 ist die Region aber weitgehend befriedet.

Zunehmende religiöse Intoleranz

Ein mittel- oder langfristiger Erfolg des IS oder der ihnen angeschlossenen Gruppierungen im Sinne territorialer Gewinne ist daher unwahrscheinlich, zumal die islamistischen Kräfte in sich mehrfach gespalten sind. Selbst die indonesischen IS-Terroristen in Syrien scheinen unterschiedlichen Gruppierungen anzugehören. Die Anschläge in Jakarta könnten auch dem Zweck gedient haben, eine der Fraktionen zu stärken.

Darüber hinaus wendet sich die große Mehrheit der Bevölkerung von derartigen Bewegungen ab. In einer im letzten Frühjahr vom US-amerikanischen Pew Research Center durchgeführten Umfrage äußerte nur ein Prozent der befragten Indonesier große und nur drei Prozent gemäßigte Zustimmung zum IS – im benachbarten Malaysia waren es zwei Prozent beziehungsweise neun Prozent.

Auch bei Wahlen entscheiden sich Indonesier überwiegend für die eher säkular auftretenden Parteien. Islamistische, aber dabei nicht offen Gewalt propagierende, Parteien erzielten seit 1999 hingegen jeweils nur um zehn bis 15 Prozent der Stimmen. Die mit Dutzenden Millionen Mitgliedern weitaus größten muslimischen Massenorganisationen des Landes, Nahdlatul Ulama und Muhammadiyah, propagieren seit Langem einen auf interreligiöse Verständigung ausgerichteten Islam. Dazu passt, dass sich nur wenige Hundert Radikale nach Syrien und in den Irak begeben haben. Dabei ist Indonesien mit mehr als 200 Millionen Muslimen das größte und bevölkerungsreichste mehrheitlich muslimische Land der Welt.

Es ist angesichts der zunehmenden religiösen Intoleranz bei Teilen der Bevölkerung sicherlich zu einfach, die im Vergleich zum Nahen Osten seit jeher moderate Islamversion zu preisen und damit die besondere Widerstandskraft der Indonesier gegen die rigiden Vorstellungen fanatisierter Muslime zu belegen.

Dennoch: Dieses über Jahrzehnte immer wieder vorgebrachte Argument hat seinen Sinn nicht vollends eingebüßt. Die meisten Indonesier erleben ethnische, sprachliche, religiöse und politische Vielfalt als etwas Selbstverständliches. Die Anstrengungen von religiösen Puristen, alles von der Norm Abweichende auszumerzen, noch dazu vor dem Hintergrund einer durch die Globalisierung angestachelten Pluralisierung der Lebensstile, dürften auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt sein.

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