GIGA Focus Middle East

Saudi Arabia's War in Yemen: No Exit Strategy

Number 2 | 2017 | ISSN: 1862-3611


  • Saudi Arabia troops in Yemen.
    © Reuters / Faisal Al Nasser
    Saudi Arabia troops in Yemen.
    © Reuters / Faisal Al Nasser

    At the end of March 2017, the war in Yemen led by Saudi Arabia and an allied military coalition entered its third year. This war cannot be won by military force, and it has triggered a humanitarian crisis, thereby running counter to Saudi interests and threatening the stability of the Kingdom.

    • Contrary to its typical portrayal in the German and international media, the war in Yemen is not a proxy war. The accusation levied by Riyadh at the war’s inception that the Houthis are to a great extent being supported and controlled by Iran is misleading and unverified.

    • Instead of weakening the Houthis, the military action led to a consolidation of their position; rather than serving to beat back the supposed Iranian influence, the war has given Tehran an opportunity to exert actual influence.

    • In the meantime, the war has pushed Yemen into a humanitarian crisis and made the failure of the Yemeni state more likely. A failed neighbour state would diametrically oppose Saudi – and European – security interests.

    • The war not only undermines medium- and long-term Saudi interests in Yemen and more broadly on the Arabian Peninsula, but in the case of further escalation also directly threatens the power position of the royal family and thereby the stability of the Kingdom.

    Policy Implications

    As a military solution to the conflict is neither desirable nor realistic, the German federal government should work towards peace negotiations under the auspices of the United Nations – and do its best to convince the United States to follow suit. Alongside measures to support such negotiations, the prospect held out by Chancellor Merkel of a German contribution to conflict settlement must also include ceasing arms exports to Riyadh, among other governments.

    Das Scheitern der GKR-Initiative

    Als am 26. März 2015 eine von Saudi-Arabien geführte regionale Militärkoalition mit der Bombardierung militärischer Stellungen der Huthis und von Teilen der jemenitischen Armee begann, stellte dies nur die weitere Eskalation eines Konflikts dar, dessen Wurzeln mindestens bis zu den Protesten gegen das Regime des jemenitischen Machthabers Ali Abdallah Salih im Jahr 2011 zurückreichen. Die damaligen Proteste wurden maßgeblich von der organisierten Opposition koordiniert, zu der u.a. auch die „Helfer Gottes“ (Ansar Allah) zählten, wie sich die Huthis offiziell nennen.

    Die im Jemen seit Langem gebräuchliche Bezeichnung „Huthis“ geht auf den Gründer der Bewegung zurück, den 2004 getöteten Husayn Badr al-Din al-Huthi. Bevor al-Huthi die „Gläubige Jugend“ (al-shabab al-mu`min), die Vorgängerorganisation der Ansar Allah, gründete, war er Abgeordneter für die neozayditische Partei der Wahrheit (Hizb al-Haqq). Die (schiitische) neozaiditische Bewegung war in den 1990er Jahren in der Provinz Saada an der Grenze zu Saudi-Arabien entstanden und wandte sich gegen die Ausbreitung des Wahhabismus und die politische Marginalisierung der Zaiditen.

    Seit 2004 wurden die Huthis in insgesamt sechs Feldzügen, den sogenannten Saada-Kriegen, vom Salih-Regime bekämpft. Schon am sechsten Saada-Krieg in den Jahren 2009-2010 war Saudi-Arabien beteiligt und auch damals gab es keine nennenswerten militärischen Erfolge. Im Jahr 2011 drohten die Proteste im Jemen in einen Bürgerkrieg abzugleiten, der aber durch eine Initiative des Golf­kooperationsrats (GKR) verhindert werden konnte. Diese Initiative, die im Wesentlichen von Saudi-Arabien in enger Koordination mit den USA und mit Unterstützung der UNO und der EU vorangetrieben wurde, beinhaltete im Kern folgende Elemente:

    • den Rücktritt Salihs, dem im Gegenzug Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung gewährt und der Verbleib im Jemen gestattet wurde, und

    • die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit, bestehend aus Vertretern der ehemaligen Regierungspartei Salihs sowie aus Mitgliedern der etablierten Oppositionsparteien.

    Die Regierung der Nationalen Einheit unter Übergangspräsident Abdurabbu ­Man­sur Hadi wurde beauftragt, in einer zweijährigen Transitionsphase den Militär- und ­Sicherheitsapparat umzubauen sowie eine Verfassungsreform durchzuführen. Die Grundlagen dieser Reform sollten im Rahmen eines Nationalen Dialogs entwickelt werden, an dem Vertreter aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Jemen teilnehmen sollten.

    Die GKR-Initiative brachte dem Jemen allerdings nur eine kurze Ruheperiode, nicht zuletzt, weil schwere konzeptionelle Fehler gemacht worden waren. Vor allem war die Protestbewegung – mit Ausnahme der etablierten parteipolitischen Opposition – von den Übergangsgremien ausgeschlossen bzw. deutlich unterrepräsentiert. Dies betraf zwar nicht nur die Huthis, war in ihrem Fall aber besonders gravierend, da sie ihre militärischen Fähigkeiten in der Vergangenheit stark ausgebaut und während der Proteste eine Quasi-Autonomie in Saada und den angrenzenden Provinzen erreicht hatten. Eine neue Studie legt nahe, dass diese Marginalisierung der Huthis im Übergangsprozess beabsichtigt war und dass die Position Riads gegen­über den Huthis in den Verhandlungen zur GKR-Initiative eher zur Eskalation als zur Regelung des Konflikts beitrug (Rieger 2017: 214-216). Entsprechende Vermutungen hatten Vertreter der Huthis bereits im Jahr 2011 geäußert und die GKR-Initiative abgelehnt. Sie beteiligten sich allerdings phasenweise am Übergangsprozess und nahmen am Nationalen Dialog teil, bei dem man ihnen 35 der 565 Sitze zugestand.

    Im Frühjahr 2014 wurde klar, dass Hadi die geplante föderale Umgestaltung – die Neuformierung und Reduzierung der ursprünglich 22 Provinzen auf 6 Großprovinzen – gegen den Willen der Huthis durchsetzen würde. Dies war wohl der entscheidende Grund für deren Überfall auf die Hauptstadt wenig später, denn die föderale Neuordnung hätte den Huthis die Kontrolle über ressourcenreiche Territorien entzogen; aus ihrer Sicht zielte sie in erster Linie auf eine Schwächung ihrer Machtgrundlagen ab.

    Kein Krieg zur Eindämmung iranischen Einflusses

    Die handstreichartige Eroberung der Hauptstadt Sanaa im September 2014 durch die Huthis beendete de facto den von der UNO überwachten Übergangsprozess und wurde nicht nur in Saudi-Arabien mit Beunruhigung wahrgenommen. In Riad war man jedoch bereit, die Äußerungen Hadis vor seiner Flucht nach Aden und dann nach Riad Anfang 2015 für bare Münze zu nehmen, der Iran habe die Kontrolle über den Jemen übernommen; man entsprach seiner Bitte, die Regierung bei der Wiederherstellung der legitimen Ordnung militärisch zu unterstützen.

    Der Iran hatte allerdings, wenn überhaupt, nur eine äußerst marginale Rolle beim Aufstieg der Huthis gespielt. Der Siegeszug der Huthis ist vielmehr aus einer Kombination mehrerer, vor allem interner Faktoren zu erklären: Neben den ausgeprägten militärischen Fähigkeiten der Huthis und der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der korrupten und inkompetenten Hadi-Regierung war auch die Allianz der Huthis mit dem Expräsidenten Salih von Bedeutung. Dieser verfügt bis heute über loyale Anhänger unter den politischen und tribalen Eliten des Landes sowie in großen Teilen des Militär- und Sicherheitsapparats; letztere unterstützten die Huthis bei ihrem Vormarsch auf Sanaa. Diese Allianz besteht bis heute, was u.a. auch erklärt, wie die Huthis in den Besitz schwerer Waffen gelangten.

    Zudem trug die saudische Politik selbst wesentlich zum Aufstieg der Huthis bei. Jahrzehntelang verfolgte Saudi-Arabien seine Interessen im Jemen mittels eines „Spezialkomitees“ (al-lajna al-khassa), über das verdeckte Zahlungen an jemenitische Eliten flossen, um den saudischen Einfluss zu sichern. Mit der Entscheidung Riads im Jahr 2014, die Muslimbruderschaft als Terrororganisation einzustufen und damit den mächtigsten jemenitischen Widersacher der Huthis, die mit der Muslimbruderschaft verbundene Islah-Partei, von diesen Zahlungen auszuschließen, schwächte das Königreich die Machtbasis der Islah nachhaltig, zumal auch die Zahlungen an die mit der Partei verbundenen Stämme eingestellt wurden. Die derart geschwächte Islah konnte dem Vormarsch der Huthis im Spätsommer 2014 nur wenig entgegensetzen. Diese inkohärente Strategie wird vielfach mit dem Tod des saudischen Verteidigungsministers Prinz Sultan bin Abd al-Aziz im Oktober 2011 in Zusammenhang gebracht, der bis zu seinem Ableben die „Akte Jemen“ betreut und eher für eine zurückhaltende Politik gegenüber dem Nachbarstaat gestanden hatte.

    Die Entscheidung Riads zur Intervention muss als Fortsetzung dieser ambivalenten Politik verstanden werden. Zweifellos usurpierten die Huthis die Macht, brachten große Teile des Landes mit Gewalt unter ihre Kontrolle, vergingen sich an ihren Gegnern und verstießen in zahlreichen dokumentierten Fällen gegen humanitäres Völkerrecht. Aber weder sind sie Befehlsempfänger Teherans, noch konnte bislang eine substanzielle iranische Unterstützung der Huthis nachgewiesen werden. Derlei Anschuldigungen sind inzwischen zu einem Topos geworden, der seinerzeit von ihrem damaligen Gegner und heutigen Verbündeten Ali Abdallah Salih in die Welt gesetzt worden war, mutmaßlich zur Sicherstellung saudischer und US-amerikanischer Militär- und Finanzhilfe.

    Dass es iranische Unterstützung für die Huthis gab und gibt, kann als gesichert gelten. Die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren ist ein bewährtes Mittel iranischer Außenpolitik, und da das Kernland der Huthis an der saudischen Grenze und somit in einer für Riad strategisch empfindlichen Region liegt, ist die Kooperation von einigem geopolitischen Interesse für Teheran. Nahezu alle Experten, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, stimmen jedoch darin überein, dass die Unterstützung aus Teheran eher geringfügig ist und am effektivsten im Mediensektor eingesetzt wird. Militärisches Training durch iranische und libanesische Berater fand in der Vergangenheit wohl statt, war aber nach Angaben eines Hizbullah-Kommandeurs aufgrund der früher erworbenen Fähigkeiten der Huthis eher entbehrlich (Solomon 2015). Art und Umfang iranischer Waffenlieferungen an die Huthis sind seit jeher umstritten, konnten jedoch zumindest bis Ende 2009 nie nachgewiesen werden, wie aus einem bekannt gewordenen Bericht der US-Botschaft im Jemen hervorgeht (Seche 2009). Zwar gibt es in jüngster Zeit vermehrt glaubwürdige Berichte über abgefangene iranische Waffenlieferungen, auch wenn Herkunft und Ziel der Waffen nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Allerdings bestätigte zuletzt das Panel of Experts on Yemen – ein Expertengremium, welches in Übereinstimmung mit UNSR-Resolution 2140 im Jahr 2014 u.a. mit dem Mandat gegründet wurde, dem UNO-Sicherheitsrat über Entwicklungen im Jemen Bericht zu erstatten –, es lägen „keine ausreichenden Beweise […] für direkte Waffenlieferungen in großem Umfang“ von Iran an die Huthis vor (Himmichie et al. 2017: 26).

    Auch wenn öffentliche Äußerungen iranischer Hardliner, insbesondere vonseiten der Revolutionsgarden, die Dinge in einem anderen Licht erscheinen lassen, ist die Kooperation zwischen den Huthis und Iran nicht vergleichbar mit der zwischen Iran und der Hizbullah, zumal im Falle der Huthis die gemeinsame theologische Basis fehlt. Vor allem sind die Huthis keine Befehlsempfänger Irans, wie auch Teheran sich seiner begrenzten Möglichkeiten bewusst ist, die Entscheidungen der Huthis zu beeinflussen. Dies bestätigte sich beispielsweise im September 2014, als Teherans Aufforderung, von der Eroberung Sanaas abzusehen, von den Huthis missachtet wurde. Nichtsdestotrotz spielen die Entwicklungen im Jemen dem Iran in die Hände. Ohne dass Teheran viel investieren musste, befindet sich der Kontrahent Saudi-Arabien seit zwei Jahren in einem Krieg mit hohen Kosten und Gefahren, in dem „ein umfassender militärischer Sieg […] in naher Zukunft keine realistische Möglichkeit mehr“ darstellt, wie es im Bericht des Panel of Experts on Yemen weiter heißt (Himmichie et al. 2017: 2).

    Wider die saudischen Interessen

    Angesichts dessen stellt sich die berechtigte Frage, was genau Saudi-Arabien zur Intervention bewogen haben mag; die Gründe der Koalitionspartner und der die Koalition unterstützenden Staaten, allen voran der USA und Großbritan­niens, dürften sich von denen Saudi-Arabiens deutlich unterscheiden. Gewiss kann die Entscheidung Riads als Ausdruck einer eigenständigeren Außenpolitik gesehen werden, die nun auch bereit ist, mit aggressiven Mitteln gegen iranische Expansionsbestrebungen vorzugehen. Das Problem besteht aber gerade darin, dass die vorgebliche iranische Expansion im Jemen allem Anschein nach eine Chimäre ist – und dass dies auch Riad nicht entgangen sein dürfte.

    Zwei Thesen erscheinen in diesem Zusammenhang plausibel, und in beiden spielt Prestige eine zentrale Rolle. Der ersten These zufolge ist der Krieg als Versuch Saudi-Arabiens zu werten, durch Demonstration militärischer Stärke das eigene Prestige zu steigern, um als regionale Führungsmacht anerkannt zu werden (Darwich 2015). Folgt man der zweiten These, die u.a. auch in einer öffentlich gewordenen Analyse des BND vertreten wird, verfolgte der saudische Verteidigungsminister und Sohn des Königs, Muhammad bin Salman, seinerzeit das Ziel, sich über einen schnellen militärischen Sieg vor dem Ableben seines Vaters in der Thronfolge zu etablieren.

    Doch welche der beiden Thesen auch zur Erklärung der saudischen Interven­tion herangezogen wird: Offensichtlich ist Riad einer Fehlkalkulation erlegen, denn der Krieg ist in sein drittes Jahr gegangen und ein militärischer Erfolg wie auch eine Verhandlungslösung sind in weite Ferne gerückt.

    Die Folgen für den Jemen sind verheerend. Inzwischen gibt es nach UNO-Angaben mehr als 10.000 Tote und mindestens drei Millionen Binnenvertriebene. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung benötigen dringend humanitäre Hilfe, sieben Millionen Jemeniten sind vom Hungertod bedroht. Durch die Bombardierung neuralgischer Straßen und Verkehrspunkte, von Häfen, Krankenhäusern und Indus­trieanlagen wurden entscheidende Teile der Infrastruktur zerstört, der jemenitische Staat ist de facto zusammengebrochen.

    Die Folgen für Saudi-Arabien sind weniger augenscheinlich. Welche Konsequenzen der Krieg für das Königreich hat und noch haben kann, wird aber mit einem Blick auf dessen Interessenstruktur erkennbar.

    Gefährdung der saudischen Sicherheit

    Riads Blick auf den Jemen wird seit jeher von Sicherheitsinteressen dominiert. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf den Gründer des dritten saudischen Staates, König Abd al-Aziz, verwiesen, der seine Söhne noch auf dem Sterbebett vor der Gefahr eines vereinigten Jemen gewarnt haben soll. Zuletzt griff Simon Henderson das vermeintliche Zitat in einem Beitrag für Foreign Policy im Oktober 2016 auf und argumentierte auf dieser Grundlage, dass eine staatliche Unabhängigkeit des Südjemen dem Land und der Arabischen Halbinsel mehr Stabilität bringen werde. Seither wird der Artikel in jemenitischen Medien als offizielle US-Strategie für den Jemen gehandelt. Ob diese Warnung tatsächlich ausgesprochen wurde bzw. inwieweit sie seinen Nachfolgern als Grundlage ihrer Politik diente, wird wohl Gegenstand von Spekulation bleiben müssen. Sicher aber ist, dass die saudische Politik in der Vergangenheit eher zur Schwächung als zur Stärkung der Steuerungsgewalt der jemenitischen Zentralregierung beitrug (Partrick 2016: 248). Der Krieg beschleunigt den Staatszerfallsprozess ganz erheblich. Angesichts des nahezu vollständigen Verlusts des staatlichen Gewaltmonopols ist es berechtigt zu fragen, inwiefern überhaupt noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann.

    Ein gescheiterter Nachbarstaat hätte jedoch gravierende Auswirkungen auf zwei zentrale Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens: den Kampf gegen al-Qaida und die Sicherheit der saudischen Grenzen. Letztere sind seit Kriegsbeginn akut bedroht. Es gibt zahlreiche Berichte über Grenzüberschreitungen von Kampfverbänden der Huthis und über Raketenangriffe der Huthi-Salih-Allianz weit in saudisches Territorium hinein. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Islamabad eine Brigade pakistanischer Kampftruppen zum Schutz der südlichen Grenze des Königreichs abkommandierte. Ein gescheiterter jemenitischer Staat, auf dessen Gebiet bewaffnete und gewaltbereite Gruppen nach Belieben schalten und walten können, stellt aus Sicht saudischer Grenzschützer sicher das bedrohlichste Szenario dar – zumal es mit al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) mindestens einen wichtigen Akteur im Jemen gibt, der den Sturz des Hauses Al Saud explizit als Ziel benennt.

    In den vergangenen Jahren konnte die Terrororganisation, die von den USA als gefährlichster al-Qaida-Ableger eingestuft wird, ihre Präsenz im Jemen kontinuierlich ausbauen. Dieser Prozess wurde seit Kriegsbeginn intensiviert. Nie zuvor war AQAP stärker als heute. So stand Mukalla, die Hauptstadt des Hadramauts, bis August 2016 über mehrere Monate unter Kontrolle der Organisation, noch heute kontrolliert sie zahlreiche kleinere und mittelgroße Gebiete im Süden und Osten. Das durch den Krieg vergrößerte Machtvakuum sowie das zögerliche Vorgehen der Militärkoalition gegen AQAP sind wichtige Gründe für diese Entwicklung. Ein weiterer besteht darin, dass mit den Huthis der effektivste Gegner AQAPs von der Koalition bekämpft wird. Mit dem Erstarken al-Qaidas bei gleichzeitiger Schwächung der jemenitischen Staatlichkeit steigt jedoch unweigerlich die Fähigkeit der Organisation, das Königshaus in und außerhalb Saudi-Arabiens zu attackieren und das Land durch Anschläge zu destabilisieren.

    Eine nicht minder große Herausforderung stellt der „Islamische Staat“ (IS) dar, der das Königreich heute an seiner Ostgrenze bedroht, im Jemen aber bislang kaum Fuß fassen konnte. Dies könnte sich bald ändern. Angesichts der drohenden Niederlage im Irak und in Syrien ist der IS auf der Suche nach einem geeigneten Rückzugsgebiet. Der Krieg im Jemen bietet hierfür die perfekte Ausgangslage.

    Das größte sicherheitspolitische Dilemma für Saudi-Arabien dürfte allerdings darin bestehen, dass der Krieg genau die Entwicklung zu fördern droht, die er eigentlich abwenden sollte: den steigenden Einfluss Irans. Nach wie vor sind die Huthis ein eigenständiger Akteur. Die Tragik des Militäreinsatzes besteht aber gerade darin, dass er die Huthis, die durch den Krieg eher gestärkt als geschwächt wurden, mit fortschreitender Dauer weiter in die Arme Teherans treiben könnte. Dies könnte nicht nur eine Folge der im Mai 2017 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Iran sein, die zu einem Amtswechsel und damit zu einer aggressiveren Jemen-Politik führen könnten. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass eine weitere Eskalation seitens der Militärkoalition, möglicherweise mit Unterstützung der USA, zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Huthis und Iran und zur Entstehung eines Abhängigkeitsverhältnisses führt, die Huthis also tatsächlich zum Büttel Teherans werden. Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind bereits erkennbar.

    Gefährdung der saudischen Wirtschaft

    Jenseits der sicherheitspolitischen Konsequenzen hat der Krieg unter anderem auch Folgen für die saudischen Staatsfinanzen und, mittel- und langfristig, für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Bislang hat das Königreich, das sich im Zeitraum 2012-2016 zum zweitgrößten Waffenimporteur weltweit entwickelte, keinerlei Angaben zu den Kosten des Militäreinsatzes veröffentlicht. Diese dürften sich jedoch in Milliardenhöhe bewegen, und das zu einer Zeit, in der aufgrund niedriger Ölpreise auf dem Weltmarkt der saudische Etat ohnehin unter großem Druck steht und im zweiten Jahr in Folge ein Defizit im zweistelligen Bereich zu verzeichnen war (2015: 15 Prozent des BIP, 2016: geschätzte 11,5 Prozent). Die Bürger Saudi-Arabiens sind mit hohen Arbeitslosenquoten, der Streichung von Subventionen und der geplanten Einführung einer Mehrwertsteuer im Jahr 2018 konfrontiert.

    Überdies kündigte Riad im April 2016 das Wirtschaftsreformprogramm „Vision 2030“ an, das die Abhängigkeit vom Öl durch wirtschaftliche Diversifizierung und die Steigerung der Wertschöpfung im Inland reduzieren soll. Die „Vision“ ist höchst ambitioniert und soll auf mehreren Pfeilern basieren, wie der Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Aramco, der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, einer Reform des Bildungssystems, verstärkten Investitionen aus dem Ausland und der Entwicklung des Tourismussektors. Wenngleich das langfristige Ziel die Reduzierung der Staatsquote ist, wird die Umsetzung der Vision 2030 zunächst nicht ohne ein Mehr an staatlichen Investitionen in den betroffenen Bereichen auskommen. Der finanzielle Spielraum der Regierung ist jedoch durch die enorm gestiegenen Militärausgaben stark eingeschränkt. Zudem ist durch den Krieg die innere Sicherheit bedroht, was auf potenzielle Investoren wie auch auf die erhofften Touristen – um nur zwei Beispiele zu nennen – eher abschreckend wirken dürfte.

    Hinzu kommt, dass der Krieg zusehends die maritime Sicherheit am Bab al-Mandab und damit die Sicherheit wichtiger Transportrouten für saudisches Öl und den globalen Handel insgesamt bedroht. Das „Tor der Tränen“ ist ein zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden gelegenes Nadelöhr, das Mittelmeer und Indischen Ozean verbindet. Auch ein Großteil der Exporte aus dem Persischen Golf passiert die Meerenge, wenn die SUMED-Pipeline genutzt oder der Suezkanal durchquert werden soll. Da bis zu 8 Prozent des globalen Handels über den Suezkanal abgewickelt werden und 4 Prozent des globalen Ölhandels das Tor durchlaufen, ist die Meerenge von enormer strategischer Bedeutung. Seit Herbst 2016 wurden mindestens vier Angriffe auf Kriegsschiffe Saudi-Arabiens, der Vereinigten Staaten und der VAE gemeldet, die allesamt der Huthi-Salih-Allianz zugeschrieben werden. Zudem mehren sich Berichte über den Einsatz von Seeminen, die Handelsschiffe und Öltanker gefährden. Zwar kann Saudi-Arabien im Falle einer Totalsperrung der Meerenge auf alternative Transportrouten für den Teil seiner Ölexporte setzen, der über das Bab al-Mandab ausgeführt wird. Dies wäre aber mit beträchtlichen Gewinneinbußen verbunden, von den Steigerungen der globalen Energiepreise ganz zu schweigen. Vor allem jedoch würde eine Totalsperrung Ägypten treffen, da sich der Beitrag des Suezkanals zur ägyptischen Wirtschaft auf bis zu 5 Mrd. USD jährlich beläuft. Die möglichen Folgen für die Stabilität des Landes werden derzeit auch in Washington diskutiert.

    Die Folgen des Kriegs für die Stabilität des Königreichs

    Schließlich bleibt anzumerken, dass der Krieg nicht nur zur Eskalation des schwelenden Konflikts zwischen Saudi-Arabien und seinem wichtigsten Bündnispartner innerhalb der Koalition und des GKR, den VAE, beiträgt. Vielmehr untergräbt er mehr und mehr das Ansehen Riads in der Region, und das, obwohl der Militäreinsatz gerade auf Prestigesteigerung abzielte. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zwar lassen saudische Medien keinen Zweifel daran, dass der Einsatz der Bekämpfung schiitischer Aufständischer gilt. Angesichts des Ausmaßes der humanitären Kata­strophe kann aber auf Dauer nur schwer kaschiert werden, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung insgesamt betroffen ist. Das könnte das Königreich, das für sich in Anspruch nimmt, Schutzmacht aller (sunnitischen) Muslime zu sein, bald in schwere Argumentationsnöte bringen. Wenig hilfreich sind auch die sich hartnäckig haltenden Gerüchte, denen zufolge Riad eine Annektierung des ­Hadramauts plant. Diese werden zusätzlich befeuert, wenn Delegationen hadramischer Scheichs in Riad empfangen werden und wenig später den Anschluss der ölreichen Provinz an Saudi-Arabien fordern. Verständlicherweise vergrößern Spekulationen über saudische Expansionsgelüste weder das Ansehen noch das Vertrauen in ein Land, das als regionale Ordnungsmacht anerkannt zu werden sucht.

    Am schwersten wiegt in dieser Hinsicht, dass Riad trotz seiner militärischen Überlegenheit unfähig ist, den Krieg für sich zu entscheiden. Obwohl der „Imageverfall des saudischen Militärs“ (al-Shami 2017) naturgemäß vor allem in den anti­saudischen Medien der Region zelebriert wird, ist die militärische Stagnation für alle aufmerksamen Beobachter offensichtlich. Mit einem Fehlschlag stünde Riad zwar nicht allein dar. In der Türkei etwa ist das Scheitern im Jemen sprichwörtlich geworden, bis heute ist das sogenannte Yemen Türküsü, ein Volkslied, in dem der vollständige Verlust osmanischer Verbände im Jemen zur Zeit des Ersten Weltkriegs beklagt wird, weit verbreitet. Die ägyptische Intervention im jemenitischen Bürgerkrieg der 1960er Jahre wiederum war nicht nur ein militärisches Debakel, sondern trug auch zur Niederlage im Sechs-Tage-Krieg von 1967 und zum Verlust der panarabischen Führungsrolle Kairos bei. Wie May Darwich darlegt, gelang es den ägyptischen Eliten im Verlauf der folgenden Jahre, diesen Verlust durch die Wiederbelebung eines ägyptischen Nationalismus zu kompensieren; für das saudische Königreich sei ein ähnliches Szenario kaum denkbar, da ihm eine vergleichbar starke nationale Identität fehle. Die Folgen einer schamvollen Niederlage könnten daher die staatliche Identität des Königreichs „deutlich stärker in Frage stellen, was die Herrschaft der Al Saud langfristig destabilisieren könnte“ (Darwich 2015: 7).

    Auch an Szenarien einer kurzfristigen Destabilisierung Saudi-Arabiens mangelt es nicht. So argumentierten kürzlich zwei Mitarbeiter der International Crisis Group, eine militärische Eskalation seitens der Trump-Administration könne Teheran stärker in den Konflikt hineinziehen und den Krieg völlig unkontrollierbar machen. In diesem Fall, so Hilterman und Longley Alley (2017), könnte das Königreich gleich an mehreren Fronten unter Druck geraten: Ein von Teheran inspirierter Aufstand saudischer Schiiten in den Ostprovinzen des Königreichs, gekoppelt mit einer Offensive der Huthis, die gleichzeitig nach Nadschran und in weitere Städte im Süden vordringen und saudische Schiffe im Bab al-Mandab attackieren, könnte die innere Stabilität Saudi-Arabiens ernsthaft bedrohen.

    Tatsächlich ist die Position der USA in vielerlei Hinsicht entscheidend für den weiteren Kriegsverlauf. Allerdings bleibt auch kurz vor der Reise Donald Trumps nach Riad offen, ob und in welchem Umfang dieser bereit ist, die militärische Beteiligung der USA im Jemen auszudehnen. Nach der im März 2017 von der Trump-Adminis­tration beschlossenen Ausweitung der Waffenlieferungen an die Militär­koalition kamen zuletzt widersprüchliche Signale aus den USA. Auch wenn angesichts der mehrheitlich in Washington diskutierten Optionen nicht davon auszugehen ist, dass Trump allzu großen Druck in Richtung neuer Friedensverhandlungen auf Riad ausüben wird, sollte allen Beteiligten klar sein, dass der Konflikt militärisch nicht zu lösen ist. Insofern ist es zu begrüßen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende April im Zuge ihres Besuchs in Saudi-Arabien erneut auf die Notwendigkeit von Friedensverhandlungen unter dem Dach der UNO hingewiesen hat. Der von ihr in Aussicht gestellte deutsche Beitrag zur Beendigung des Kriegs sollte sich indessen nicht nur auf verhandlungsunterstützende Maßnahmen beschränken, sondern unbedingt auch den sofortigen Stopp von Rüstungsexporten an die am Krieg beteiligten Staaten, allen voran Saudi-Arabien und die VAE, beinhalten.


    Footnotes


      References


      Research Programmes

      How to cite this article

      Jens Heibach (2017), Saudi Arabia's War in Yemen: No Exit Strategy, GIGA Focus Middle East, 2, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-51868-3


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